Irmgard Bensusan hat wieder ganz alltägliche Wünsche. Nachdem sie ihre bewegende Geschichte erzählt und sich die Last von der Seele geredet hat, sind die kleinen Dinge wieder wertvoll.
«Nach dem letzten Wettkampf wünsche ich mir ein Eis», sagt die Sprinterin vor ihrem Doppelstart bei den Paralympics in Tokio: «Und ich möchte so viel Sushi essen, dass mein Bauch platzt. Oder meine Hose.»
In Rio vor fünf Jahren hatte Bensusan bei drei Starts dreimal Silber gewonnen. Ihr Ziel für Tokio bezeichnet sie wie immer als «Geheimnis». Schwer zu erraten ist es nicht. Diesmal soll es Gold sein. Egal, ob über 100 Meter, wo sie in der Nacht zum Dienstag deutscher Zeit im Vorlauf einsteigt und am Mittag im Endlauf siegen will, oder über 200 Meter am Donnerstag und Freitag. Die 400 Meter gehören in Tokio nicht zum Programm.
Depression nach Hürdensturz
Damit es diesmal klappt, hat Bensusan sehr hart gearbeitet. Und sie hat das öffentlich gemacht, was sie fast neun Jahre mit sich selbst ausgemacht hat. Dass sie nach jenem Unfall an einer Hürde, durch den 2009 ihr Traum von Olympia platzte, fast drei Jahre an Depressionen litt. «Ich habe mich selbst gehasst. Es gab Tage, an denen ich nicht aufstehen wollte», hatte sie im Juli im dpa-Gespräch gesagt: «Es gab auch mal zwei Wochen, in denen ich mit niemandem geredet habe. Und ich hatte Essstörungen. Es war ein schwarzes, tiefes Loch.» Ihre Familie hatte sie erst kurz zuvor informiert.
Die Reaktionen, so berichtet sie, seien ausschließlich positiv ausgefallen. «Ich habe sie immer als ausgesprochen starke Persönlichkeit kennengelernt», sagt auch Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes: «Ihr Schritt ist ein weiterer Beweis für die Stärke.»
Mit dieser Stärke kämpfte sich Bensusan aus dem Tief heraus. Auch, weil sie wieder mit dem Laufen begann. «Man kann sagen, dass ich den Depressionen davongelaufen bin», sagt sie. Weil sie trotz des durch den Sturz erlittenen Nervenschadens am teilgelähmten rechten Unterschenkel in ihrer Heimat Südafrika nicht klassifiziert wurde, landete sie in Deutschland. Dem Heimatland ihrer aus Hannover stammenden Mutter. Nach sieben Jahren ist sie dreimalige Weltmeisterin und Paralympics-Favoritin.
«Neechan» – die große Schwester
Zudem ist sie die gute Seele der großen und erfolgreichen Leverkusener Trainingsgruppe. «Neechan» haben sie sie in Japan getauft. Was quasi «große Schwester» heißt. Daheim im Alltag nennen sie alle «Tante Irmie». Bezeichnet sie jemand als Mama des Teams, schreitet sie ein. «Ich bin nicht die Mama, ich bin die Tante», stellt die 30-Jährige klar: «Eine Mama ist streng, eine Tante ist cool. Die geht auch mit trinken.» Zum Beispiel nach den Spielen.
Weil die Athleten kurz nach ihren Wettkämpfen abreisen müssen, will sich das Team als Ersatz für die Schlussfeier zum Feiern treffen. «Tante Irmie» verteilt seit Beginn der Vorbereitung für kleine Verfehlungen wie Verspätungen Strafpunkte. «Und für jeden Strafpunkt muss man einen Schnaps trinken», stellt sie klar.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Paralympicssiegerin feiert, besteht. «Ich bin fit wie ein Turnschuh», sagt Bensusan. Und vor allem: «Ich bin heute sehr glücklich. Ich liebe mein Leben. Ich stehe jeden Tag auf und freue mich.» Fehlen zum ganzen Glück nur noch eine Goldmedaille, ein Eis und ganz viel Sushi.
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