Remco Evenepoel küsste seine Faust, streckte den Zeigefinger Richtung Himmel und fasste sich mit der Hand auf die linke Brust.
Bei seinem emotionalen Etappensieg war der belgische Weltmeister ganz in Gedanken beim am Tag zuvor gestorbenen Radprofi Gino Mäder. Der Unfalltod des Schweizers hatte der diesjährigen Tour de Suisse jede Normalität genommen, die sportlichen Ergebnisse am Schlusswochenende blieben eine Randnotiz.
Trauer um Mäder
«Dieser Sieg geht natürlich an Gino und seine Familie. Das war die beste Art und Weise ihn zu ehren und seiner Familie Respekt zu zollen. Für mich war es ganz egal, dass ich keine Zeit gewinnen kann. Das war alleine für Gino», sagte Evenepoel, nachdem er am Samstag auf der siebten Etappe zwischen Tübach und Weinfelden als Solist vor Wout van Aert und Bryan Coquard die Ziellinie überquert hatte.
Erst spät in der Nacht zuvor hatten sich die Organisatoren für ein Weitermachen entschieden. So wurde die Etappe besonders: Statt eines Startschusses wurden weiße Taube fliegen gelassen. Die Fahrer trugen einen Trauerflor und es gab eine Schweigeminute. Weil die Zeit für die Gesamtwertung erst 25 Kilometer vor dem Ende genommen wurde, fuhr das Hauptfeld lange Zeit geschlossen. Erst am Ende zogen die Profis das Tempo an und es kam zu Attacken. Wie erwartet hatte der Ausgang keine Auswirkungen auf die Gesamtwertung. Der Däne Mattias Skjelmose trug weiter das Gelbe Trikot.
Tour-Direktion bestand auf Weiterfahrt
Die Fortsetzung der Rundfahrt war kontrovers diskutiert worden. Am Sonntag zeigte sich Tour-Direktor Olivier Senn im Interview der Nachrichtenagentur Keystone-SDA «hundert Prozent sicher», dass es der richtige Entschluss gewesen sei. «Als wir ihn gefällt haben, war ich mir zwar sicher, dass es der bestmögliche Entscheid ist, aber ob es auch der richtige ist, das war ich mir nicht sicher. Mir persönlich war wichtig, sich nicht nur der Trauer zu widmen, sondern auch den schönen Erinnerungen.» Die vorausgegangenen zweieinhalb Tage bezeichnete er als «schlechten Film».
Die letzten Tage der 86. Auflage der Tour in der Schweiz, die am Sonntag mit einem Schlusszeitfahren im Kanton St. Gallen endet, standen ganz im Zeichen des toten Schweizer Radprofis. Am Donnerstag war Mäder auf der Abfahrt vom Albula-Pass zum Zielort La Punt auf den letzten Kilometern der fünften Etappe mit hohem Tempo in eine Schlucht gestürzt, musste anschließend reanimiert werden und erlag einen Tag später seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus.
Schock für den Radsport
Sein Tod hatte die gesamte Radsportwelt geschockt. Die eigentlich geplante sechste Etappe wurde abgesagt, stattdessen erinnerten die Profis am Freitag bei einer Gedenkfahrt über 20 Kilometer an ihren Kollegen.
Trotz der Entscheidung der Organisatoren in Absprache mit den Sportlern, Teams und auch Mäders Familie zur Fortsetzung der Tour, war das Hauptfeld am Samstag stark verkleinert. Das Team Bahrain-Victorious, zu dem der Schweizer gehörte, hatte bereits kurz nach dem Tod das Aus seiner Fahrer bei der Rundfahrt verkündet. Auch das Schweizer Radsportteam Tudor Pro Cycling und das belgische Team Intermarché Circus Wanty zogen sich nach dem dramatischen Zwischenfall zurück. Außerdem verzichteten 17 Fahrer aus weiteren Mannschaften. Darunter waren auch Schweizer Profis, unter anderem Stefan Küng, der das Auftaktzeitfahren gewonnen hatte.
Zeugenaufruf gestartet
Der genaue Unfallhergang ist weiter unklar. Die Behörden ermitteln dazu und starteten auch einen Zeugenaufruf. Neben Mäder stürzte auch der 21 Jahre alte Magnus Sheffield an ähnlicher Stelle und zog sich eine Gehirnerschütterung und leichte Prellungen zu. Möglicherweise kann Sheffield daher zur Klärung des Unfallhergangs beitragen.
Immer wieder sterben Radsportler bei Stürzen und Kollisionen. Der tragische Tod hatte erneut eine Debatte um die Sicherheit der Fahrer ausgelöst. Es sei keine schlaue Idee gewesen, das Ziel einer solchen Etappe nach einer Abfahrt zu platzieren, kritisierte Weltmeister Evenepoel kurz nach dem Sturz am Donnerstag.
«Man muss vielleicht zukünftig schauen, dass Abfahrten nicht so kurz vor dem Ziel gemacht werden», sagte Ex-Profi Fabian Wegmann auf dpa-Anfrage. Zugleich nahm er die Organisatoren in Schutz: «Das war ein Fahrfehler, nachdem was ich mitbekommen habe.» Der Veranstalter habe diese Etappe schon ganz oft so ausgerichtet. «Man kann nicht einfach sagen, dass jetzt nur der Veranstalter in der Pflicht ist», bekräftigte Wegmann.
Weitere Nachrichten
Bellinghams Fallrückzieher rettet England vor Blamage
England gewinnt Team-WM der Darts-Profis
Spaniens «wunderbare Mannschaft» fordert DFB-Elf