Entkräftet, aber überglücklich ließ sich Altmeister Mark Cavendish auf den Asphalt fallen und ließ seinen Emotionen freien Lauf. Der Weltmeister von 2011 weinte, lachte und hüpfte mit seinen Kollegen im Kreis.
«Das Rennen hat mir mein Leben gegeben und ich ihm mein Leben. Das bedeutet mir so viel, vom ersten Sieg 2008 bis heute. Ich lebe einen Traum. Ich hätte nie gedacht, noch einmal bei der Tour fahren zu können», sagte Cavendish nach seinem völlig überraschenden Coup bei der 108. Tour de France am Dienstag, der mit einem von André Greipel angeführten Fahrerstreik wegen der schlimmen Stürze begonnen hatte.
Cavendish straft die Kritiker
«So viele Leute haben nicht mehr an mich geglaubt, aber das Team hat es getan. Es geht nicht darum, jemandem etwas zu beweisen. Es ging nur darum, bei der Tour zu sein», fügte Cavendish nach seinem Sieg auf der vierten – und dieses Mal nicht von schlimmen Stürzen überschatteten – Etappe über 150,4 Kilometer von Redon nach Fougères hinzu. Plötzlich wackelt sogar der Uralt-Rekord von Rad-Legende Eddy Merckx. Mit seinem 31. Etappensieg liegt der Brite, der in Fougeres bereits 2015 gewann und dieses Mal vor dem Franzosen Nacer Bouhanni und dem Belgier Jasper Philipsen ins Ziel kam, nur noch drei Erfolge hinter Merckx.
Zwei Jahre war der einstige König der Sprinter in der Versenkung verschwunden. Zu schlecht für die Tour, nicht mehr konkurrenzfähig gegen die schnellsten Männer der Welt. Und auch in diesem Jahr rückte der Mann von der Isle of Man erst ins Deceuninck-Team, nachdem der Ire Sam Bennett wegen einer Knieverletzung verzichtete. Die Karriere des Ex-Weltmeisters schien langsam auszutrudeln, schließlich hatte er seit 2016 keine Tour-Etappe mehr gewonnen. Das sollte sich am Dienstag ändern.
Van der Poel verteidigt Gelb
Im Gesamtklassement blieb vor dem ersten großen Kräftemessen im Einzelzeitfahren am Mittwoch alles beim Alten. Raymond Poulidors Enkel Mathieu van der Poel fährt weiter im Gelben Trikot durchs Land und liegt in der Gesamtwertung acht Sekunden vor dem französischen Weltmeister Julian Alaphilippe. Dritter ist Ex-Giro-Sieger Richard Carapaz 31 Sekunden zurück.
In eine Rolle als Hauptdarsteller schlüpfte auch Cavendishs langjähriger Rivale Greipel, der aber sportlich als Tageszehnter nicht brillieren konnte. Nach dem Sturz-Chaos vom Vortag traten die Fahrer unter Führung des 38-Jährigen 900 Meter nach dem Start in Redon kurzzeitig in den Streik und forderten einen Dialog aller Beteiligter. Viel zu enge Straßen, unnötige Abfahrten vor einem Massensprint – die schlimmen Stürze seien nach Meinung der Akteure mitunter vermeidbar gewesen.
«Die Tour ist erst zwei Tage alt und ich fühle mich, als ob ich schon zwei Wochen unterwegs wäre. Mental und körperlich sind wir alle gezeichnet», schimpfte der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, der bereits in mehrere Stürze verwickelt war. Besonders schlimm hat es Martins Kapitän Primoz Roglic erwischt. Der Vorjahreszweite und Mitfavorit stieg völlig zugepflastert am ganzen Körper wieder aufs Rad. Für andere wie Sprintstar Caleb Ewan ist die Rundfahrt bereits beendet.
Die Kritik richtet sich gegen den Veranstalter ASO, aber vor allem gegen den Weltverband. «Die UCI hat ihre eigenen Regeln nicht befolgt», betonte Bora-Teamchef Ralph Denk. «Es ging bergab im Finale, die Zielgerade hatte einen Knick. Das sollte alles nicht sein. Wenn man den Schuldigen sucht, dann ist es die UCI.»
Schuld hin oder her. Das Feld der Sprinter – auch der dreimalige Weltmeister Peter Sagan oder der Franzose Arnaud Dèmare gingen schon schmerzhaft zu Boden – ist bereits arg dezimiert oder lädiert. Das eröffnet anderen die Chance auf Top-Plätze wie etwa Altstar Cavendish.
Zeitfahren am Mittwoch
Am Mittwoch bleibt die Tour von schrecklichen Massenstürzen ganz sicher verschont, wenn das Einzelzeitfahren von Changé nach Laval über 27,2 Kilometer ansteht. Dann sind die Anwärter auf den Gesamtsieg gefordert. Schließlich kann es bereits zu größeren Zeitabständen kommen. Gute Chancen, das Gelbe Trikot zurückzuerobern, hat dann Alaphilippe, der als passabler Zeitfahrer gilt. Aber auch Spezialisten wie Stefan Küng (Schweiz) oder Ex-Weltmeister Tony Martin (Eschborn) dürfen auf den Tagessieg hoffen.
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