23. November 2024

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Carro: «Möchte, dass Deutschland eine wichtige Rolle spielt»

Fernando Carro ist Club-Chef des Bundesligisten Bayer Leverkusen. Als Mitglied der Club-Vereinigung ECA ist er gleichzeitig eine der wichtigsten Stimmen des deutschen Fußballs in europäischen Gremien.

Bayer Leverkusens Club-Chef Fernando Carro ist einer der wichtigsten deutschen Vertreter in den internationalen Fußball-Gremien. Seit 2021 gehört der Spanier zum Board der Club-Vereinigung ECA, Anfang September wird er aller Voraussicht nach wiedergewählt.

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er von der sportlichen Aufrüstung Saudi-Arabiens bis zur Auslandsvermarktung und Super League über viele wichtige Themen.

Herr Carro, die deutschen Männer und Frauen sind bei der WM in der Vorrunde ausgeschieden, die U21 bei der EM auch. Ist der deutsche Fußball nicht mehr weltspitze?

Fernando Carro: Das waren drei Turniere, bei denen wir nicht gut abgeschnitten haben. Das heißt nicht, dass der deutsche Fußball nicht mehr zur Elite gehört. Aber es heißt, dass wir viel arbeiten müssen, um wieder auf Top-Niveau zu gelangen und um Titel mitspielen zu können.

Was erwarten Sie vom DFB-Team bei der EM nächstes Jahr im eigenen Land?

Carro: Ich habe ehrlich gesagt ein gutes Gefühl. Wir haben immer noch sehr viel Qualität auf dem Rasen und einen hervorragenden Nationaltrainer.

Sie gehören also nicht zu den immer mehr werdenden Flick-Kritikern?

Carro: Nein, ich gehöre nicht zu den Flick-Kritikern. Hansi Flick hat bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Trainer ist. Bei den Bayern hat er sehr gute Arbeit geleistet. Ich glaube an Hansi Flick, stehe hinter ihm und bin überzeugt, dass er eine gute EM verantworten wird.

Aber woran liegt es, dass Deutschland zuletzt häufig so schlecht abgeschnitten hat? Auch im Vergleich zu Ihrem Heimatland Spanien?

Carro: Deutschland ist ein hochentwickeltes Land, das auf der ganzen Welt für seinen Anspruch an Qualität geschätzt wird. Mich selbst hat dieser Umstand ja vor mehr als 30 Jahren nach Deutschland geführt, um hier mein Arbeitsleben zu bestreiten. Aber ich habe in den vergangenen Jahren zunehmend das Gefühl, dass es in einigen Bereichen nicht mehr das ist, was es mal war. Das beginnt bei der Qualität in vielen Dienstleistungen des alltäglichen Lebens. Ich merke immer mehr, dass es an Dingen hapert, die vorher gut geklappt haben. Vielleicht zeigt sich auch im Fußball, dass es uns als Gesellschaft zu gut gegangen ist und wir uns an einigen Stellen zu sehr auf alten Lorbeeren ausruhen.

Woran zeigt sich das?

Carro: Als ich nach Deutschland kam, haben sich die Studenten beschwert, dass sie das BAföG zurückzahlen müssen. In Spanien wären wir froh gewesen, wir hätten überhaupt so etwas wie BAföG. Es ist eben eine deutsche Art, alles kritisch zu sehen und auf hohem Niveau zu klagen. Aber daraus muss dann auch etwas entstehen, ein Antrieb, eine Motivation. Dies ist möglicherweise etwas verloren gegangen. Man sollte bereit sein, darüber zu diskutieren und auf den Fußball bezogen zu schauen, was man hier künftig besser machen und welche Lehren man ziehen kann. Das sind aber nur Gedanken. Ich nehme nicht für mich in Anspruch, über den Verlust der deutschen Tugenden zu urteilen.

Zum Thema spanische Emotionen: Der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales hat nach dem gewonnenen Finale bei der WM der Frauen eine Spielerin auf den Mund geküsst. Wie beurteilen Sie das?

Carro: Das war falsch, keine Frage. Er muss sich entschuldigen und das hat er getan.

Die neue Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga prüft Medienberichten zufolge nach der zuletzt gescheiterten Abstimmung erneut den Einstieg eines Investors. Hielten Sie das für richtig?

Carro: Die Geschäftsführung der DFL tut gut daran, weitere Alternativen zur dringend notwendigen Erlössteigerung zu prüfen. Ich bin sicher, dass viele, die sich damals enthalten oder dagegen gestimmt haben, bei einer Wahl heute anders stimmen würden. Ich glaube, dass vielen gar nicht bewusst war, was sie damals mit ihrem „Nein“ oder ihrer Enthaltung bewirkt haben. Wahrscheinlich war allerdings auch der Begriff „Investor“ falsch gewählt, weil viel zu negativ besetzt. Es geht ja eher um einen strategischen Partner, von dem im besten Fall alle Vereine in ihrer Entwicklung profitieren werden.

Nach der Abstimmung Ende Mai gab es gegenseitige Schuldvorwürfe in alle Richtungen. Viele fürchten, dass das Bündnis der 36 Proficlubs daran zerbrechen könnte. Sie auch?

Carro: Ich hoffe nicht, dass es so kommt, aber meine Hand würde ich nicht dafür ins Feuer legen. Ich hoffe immer noch, dass wir in der Lage sind, einen Konsens zu finden. Wenn eine Seite allerdings keinen Konsens will, wenn die eigenen, teils sehr ideologischen Gedanken kompromisslos verteidigt werden und Bereitschaft zu pragmatischem Handeln fehlt, wird es schwierig. Eine Spaltung will eigentlich niemand. Ich will sie auch nicht. Aber wenn das die einzige Lösung ist, würde ich sie mittragen.

Beim Thema der TV-Erlöse in der Inlandsvermarktung haben Sie zuletzt angeregt, die one-single-buyer-rule abzuschaffen und einem Anbieter alles zu gewähren.

Carro: Ich habe nicht gefordert, dass ein Anbieter alles bekommt. Aber es müsste die Möglichkeit bestehen. Deshalb habe ich gesagt, ich würde mich freuen, wenn die one-single-buyer-rule fällt. Ob dann am Ende wirklich einer alles bekommt, hängt von den Summen ab, die geboten werden.

Was versprechen Sie sich von der Abschaffung?

Carro: Dass es mehrere Interessenten gibt und der Preis steigt. Wenn man den Kuchen verteilt, ist er weniger wert, als wenn die Möglichkeit besteht, den ganzen Kuchen zu bekommen. Natürlich für eine Summe, die höher sein muss als die Summe der Teile.

Dann hängt die Bundesliga aber am Tropf eines Rechteinhabers. Das hat sich einst beim Zerfall des Kirch-Imperiums gerächt.

Carro: Es gibt im Leben nie nur Vorteile. Aber ich sähe eher die Chance als das Risiko.

Denken Sie, dass die aktuellen Partner wie Sky oder DAZN in der Lage wären, solche Summen alleine zu stemmen? Oder erwarten Sie dann eher Unternehmen wie Amazon oder Apple als Bieter?

Carro: Ich glaube, dass sie auch dazu gehören könnten. Und dann hätten wir drei, vier, fünf Konkurrenten. In jedem Fall habe ich die Erwartung, dass wir versuchen, am Ende mehr zu bekommen. Weil es das Produkt auch wert ist.

Aktuell ist die one-single-buyer-rule vom Kartellamt vorgegeben. Denken Sie, dass sich das ändern kann?

Carro: Ich weiß, dass es beim Kartellamt thematisiert wird. Wie es dazu steht, weiß ich aber nicht. Ich hoffe aber, dass das Kartellamt sieht, dass es nicht immer gegen das Interesse des Kunden ist, wenn einer alles bekommt.

Wie verfolgen Sie das Aufrüsten der saudischen Liga durch Multi-Millionen-Transfers?

Carro: Ich würde als Spieler nicht dorthin gehen. Und als Funktionär auch nicht. Für kein Geld der Welt. Aber man kann das Thema auch nicht vom Tisch wischen. Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt.

Sportvorstand Klaus Allofs vom Zweitligisten Fortuna Düsseldorf hat gesagt, dass man Wechsel aber nicht verurteilen darf, weil man von Fußballern keine andere Moral erwarten sollte als von allen anderen. Wie sehen Sie das?

Carro: Da bin ich bei ihm. Ich verurteile das auch nicht. Ich kann nur für mich sprechen. Ich würde das nicht machen, ich finde das nicht gut und ich verstehe das nicht. Aber jeder Einzelne kann so entscheiden, wie er will.

Gerüchten zufolge strebt Saudi-Arabien einen Platz in der europäischen Champions-League an. Wie beurteilen Sie das als Vertreter der Vereinsgemeinschaft ECA?

Carro: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die UEFA ihnen einen Platz anbietet. Und da ich in dem einen oder anderen Gremium ja vertreten bin, würde ich es wissen. Wenn es irgendwann zur Sprache kommen sollte, werde ich mich zu 100 Prozent dagegenstemmen. Aber ich kann mir momentan nicht mal vorstellen, dass es überhaupt auf den Tisch kommt.

Die ECA wählt Anfang September in Berlin ihr Board. Man kann davon ausgehen, dass Sie wieder gewählt werden. Welche Themen wollen Sie dort in den nächsten Jahren vorantreiben?

Carro: Ich möchte weiterhin daran arbeiten, den europäischen Fußball auf oberstem Niveau zu festigen und mit dafür zu sorgen, dass Deutschland dabei eine wichtige Rolle spielt. Grundsätzlich liegen mir unter anderem diese Themen am Herzen: Den Wettbewerb stärken, die Einnahmen steigern, mich für eine faire und angemessene Verteilung der Einnahmen einzusetzen, über das Thema Financial Fairplay dafür zu sorgen, den ausufernden Ablösesummen und Gehältern eine Grenze zu setzen und zu versuchen, dass noch mehr Vereine uns als Organisation unterstützen. Damit wir als ECA eine starke Einheit sind und niemand anderes versuchen kann, mit uns in Wettbewerb zu treten.

Dem gemeinen Fan ist die ECA oft kein Begriff. Banal gefragt: Sind Sie Partner der UEFA, Korrektiv oder Gegner?

Carro: Wir sind Partner der UEFA. Teilweise auch Korrektiv. Und in einigen Dingen naturgemäß anderer Meinung. Beispielsweise wenn es um die Wichtigkeit der Pokalsieger geht. Die UEFA ist die Vereinigung der Verbände, und die Pokal-Wettbewerbe werden von den Verbänden organisiert. Deshalb versuchen die Verbände, die Sieger hoch anzusiedeln. Die Clubs und die Ligen versuchen natürlich, die Qualifikation über die Liga höherzuhängen. Am Ende sind bei diesem wie vielen anderen Themen beide Seiten verpflichtet, sich zu einigen und Lösungen zu finden.

Ist die Super League vom Tisch oder droht dieses Szenario weiter?

Carro: Für mich ist sie vom Tisch. Wenn Real Madrid und der FC Barcelona sie haben wollen, müssen sie die Mehrheit überzeugen. Das haben sie nicht geschafft. Ich persönlich würde auch die 50+1-Regel streichen. Aber wenn die Mehrheit in Deutschland das anders sieht, muss ich als Demokrat die Mehrheit unterstützen.

Wie lange wird es diese Regel noch geben?

Carro: Ich glaube, die nächsten fünf Jahre wird es sie sicher noch geben. Ob noch länger weiß ich nicht.

Was sagen Sie zum neuen Modus der Champions League ab 2024 mit einer großen Tabelle?

Carro: Ich bin Traditionalist und mir haben die drei alten Wettbewerbe immer gut gefallen. Ich sah auch jetzt eigentlich keine große Notwendigkeit, etwas zu ändern. Aber durch den Druck der Super League war es wichtig, etwas Neues zu entwickeln, den betreffenden Vereinen Anreize zu schaffen. Daran habe ich mitgewirkt und im Vergleich zu den Alternativen, die es gab, ist es eine Variante, die auch Vorteile hat. Es gibt zwei Spiele mehr und hoffentlich mehr interessante Spiele, weil auch in der Vorrunde schon gesetzte Teams aufeinandertreffen. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass es ein Erfolg wird und gleichzeitig darauf achten, ob wir nachjustieren müssen.

Zur Person: Fernando Carro de Prada (59) ist in Barcelona geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium stieg er bei Bertelsmann ein, wo er zuletzt Vorstandsvorsitzender der Konzern-Tochter Arvato war. Seit dem 1. Juli 2018 fungiert er als Vorsitzender der Geschäftsführung von Bayer Leverkusen. Seit Juli 2021 gehört er dem Vorstand der European Club Association (ECA) an.

Interview: Holger Schmidt, dpa