17. November 2024

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BVB glaubt an «Wunder in Wembley» – Partynacht in Paris

Anders als für den FC Bayern ist der Traum von Wembley für den BVB wahr geworden. Der Coup von Paris schürt den Glauben an ein Fußball-Wunder gegen den Final-Favoriten Real Madrid.

Das Halbfinal-Drama des FC Bayern München in Madrid erlebte Sebastian Kehl «in aller Ruhe» auf der heimischen Couch. Dass sein Wunsch nach einer Neuauflage des deutschen Champions-League-Endspiels von 2013 in London nicht in Erfüllung ging, kann die Vorfreude des Dortmunder Sportdirektors auf den Showdown am 1. Juni nicht trüben. «Wir hätten die Chance auf eine Revanche gegen die Münchner in Wembley sehr gerne genutzt», sagte der 44-Jährige mit Blick auf das unvergessene 1:2 gegen den nationalen Erzrivalen vor elf Jahren in der englischen Fußball-Kultstätte.

Doch die unglückliche 1:2-Niederlage der Bayern am Mittwoch im Bernabeu-Stadion bescherte dem Tabellenfünften der Bundesliga einen Königsklassen-Showdown gegen den spanischen Rekordmeister. Dessen beeindruckende Titelsammlung schüchtert Kehl nicht ein: «Wir wissen, dass Real eine echte Final-Maschine ist. Aber wir haben in diesem Wettbewerb schon große Mannschaften geschlagen. Warum sollte uns dieses Wunder nicht auch in Wembley gelingen?»

Beflügelt vom eigenen Halbfinal-Triumph (1:0) in Paris am Vortag stellte er ein Duell auf Augenhöhe in Aussicht. «Wir haben genug Waffen, um diesen Titel nach vielen Jahren wieder nach Dortmund zu holen», sagte Kehl im ZDF.

Bei allem Respekt vor dem Überraschungsteam aus Dortmund sieht Real-Routinier Toni Kroos sein Team jedoch in der Favoritenrolle. «Ich bin überzeugt davon, dass wir der gerecht werden», sagte der 34 Jahre alte deutsche Nationalspieler. «Das ist noch mal ein ganz anderes Ambiente. Wembley, da machen noch ein paar andere Gefühle was mit Dir. Und ich hoffe, dass das mit uns ein bisschen weniger macht, dass wir zumindest den Vorteil der Erfahrung dort mit hinbringen und das Ding holen.»

Prinzenpark als Partyzone

Doch mit einem ähnlichen Gefühl der vermeintlichen Überlegenheit war auch das Pariser Starensemble um Kylian Mbappé in das Duell mit dem BVB gegangen – und musste am Ende mit ansehen, wie die Gäste den heimischen Prinzenpark in eine Partyzone verwandelten. Schon in der Kabine begann die Einstimmung der Borussia auf den großen Traum vom Finale in Wembley. «Es war schwer, die Jungs aus der Kabine zu bekommen. Man versackt da schnell», beschrieb Julian Brandt die Ekstase.

Dass bereits am kommenden Samstag das nächste Bundesligaspiel in Mainz ansteht, geriet an diesem für den BVB historischen Abend völlig in Vergessenheit. Aus Freude über den dritten Einzug ins Champions-League-Finale nach 1997 und 2013 ließen es die Dortmunder so richtig krachen. Begleitet von inbrünstigen Gesängen wurde der große Tisch in der Kabine zwischenzeitlich als Rutschbahn zweckentfremdet. Erst um 4.30 Uhr morgens endete die spontane Party im Mannschaftshotel. «Wenn du heute nicht feierst, feierst du nie wieder», sagte Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer.

Online-Shop überlastet

Bei der Landung am Mittwochmittag am Dortmunder Flughafen, wo rund 200 Fans der Mannschaft einen emotionalen Empfang bereiteten, wirkten einige Profis sichtlich übermüdet. Wie groß die Begeisterung der Fans nach dem überraschenden Erfolg ist, zeigte sich auch im Online-Shop des Vereins, der bereits in der Nacht zeitweise überlastet war. Viele tausend Fans versuchten, das T-Shirt mit der Aufschrift «Yellow Wonder Wall» und «London 2024 – Finale» zu bestellen, das die Profis nach dem Schlusspfiff getragen hatten.

Wie so oft in dieser zumindest in der Bundesliga eher bescheidenden Saison wuchs der BVB auf internationalem Terrain über sich hinaus. Die vier Aluminium-Treffer des französischen Meisters wurden als Glück des Tüchtigen gewertet. «Wir haben in der Liga zu Recht viel auf die Schnauze bekommen», befand Brandt. «Aber in der Champions League haben wir ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Deshalb haben wir uns das Finale verdient.»

Internationale Presse staunt

Die internationale Presse bewertete das ähnlich. «Es war ein Abend, an dem Borussia Dortmund eines der schönsten Kapitel seiner Geschichte schrieb, an dem eine scheinbar unscheinbare Mannschaft – ohne große Namen – etwas völlig Erstaunliches vollbrachte», kommentierte der englische «Guardian». «Dortmund erobert Paris», titelte die spanische Zeitung «Marca». «Die Mannschaft von Edin Terzic hatte zwar schwächere Spieler, aber eine größere kollektive Stärke», urteilte «The Telegraph».

Angeführt vom erneut überragenden Hummels, der in der 50. Minute per Kopf den Siegtreffer erzielte, veredelten die Dortmunder ihren starken Auftritt in der Königsklasse. Die wohl schwerste Gruppe mit Paris, Newcastle United und der AC Mailand hatten sie bereits als Sieger beendet. Mit jedem Spiel wuchs das Selbstvertrauen. «Ich habe eh viel zu wenig Champions-League-Tore geschossen in meiner Karriere. Das ist ein guter Zeitpunkt, aufzustocken», scherzte der Matchwinner. Trotz der Außenseiterrolle rechnet sich der 35-jährige Routinier, dessen Vertrag beim BVB am Saisonende ausläuft und dessen Zukunft noch nicht geklärt ist, gute Titelchancen aus: «Es gibt keinen Grund, warum wir nicht an den Finalsieg glauben sollten.»

Trainer Terzic als großer Gewinner

Neben Hummels ging auch Trainer Terzic als großer Gewinner aus dem Spiel hervor. Sein taktischer Plan gegen Paris erwies sich in beiden Spielen als ideal und ließ seine Kritiker verstummen. Der 41-Jährige, dem noch Ende Dezember der Rauswurf drohte, wurde von den Fans mit Sprechchören gefeiert. «Ich fühle keine Genugtuung, die Freude überwiegt», sagte er freudestrahlend. Auf die Frage, wie es sich anfühle, im Finale der Champions League zu stehen, antwortete er: «Das klingt gut – surreal».

Nur mit der Finalteilnahme will sich Taktgeber Brandt nicht zufriedengeben. «Jeder weiß, dass wir noch nichts gewonnen haben, sondern uns nur für eine neue Erfahrung qualifiziert haben.» Marco Reus, der neben Hummels als einziger BVB-Profi schon 2013 im Finale gegen die Bayern stand, sah es ähnlich: «Jetzt müssen wir es holen, sonst wäre es scheiße.»

Von Heinz Büse, dpa