22. November 2024

Sport Express

Express-Sport direkt aus der Arena

Boykott, Bolzen, Bildung oder Banner: Fan-Szene und die WM

Vor der bevorstehenden Fußball-WM in Katar setzen sich Fan-Bündnisse intensiv mit dem so umstrittenen Turnier auseinander. Ein Vertreter sorgt mit seinem Appell an Katars Botschafter für Aufsehen.

Die Spiele vor Ort und auch vor dem Fernseher boykottieren und während des Turniers öfter selbst mal kicken. Sich über die politische Lage in Katar informieren – und am besten noch gegen die Verbände wie DFB und FIFA protestieren. So in etwa stellt sich die organisierte Fanszene den Umgang mit der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft vor.

Während Bundeskanzler Olaf Scholz am Wochenende unter anderem in das WM-Gastgeber-Land aufbricht, steht in Frankfurt ein Fan-Aktions-Tag unter dem Motto «Nicht unsere WM!» an.

Ausrichter der Podiumsdiskussionen am Samstag um 18.00 Uhr sind das Netzwerk von «Nie wieder!», das Fan-Bündnis «Unsere Kurve», der Verein Gesellschaftsspiele aus Berlin und die Initiative «Boycott Qatar».

«Es geht um einen moralisch verkommenen Sport»

Grundsätzlich gehe es bei den Protesten und im Kampf gegen die Akzeptanz dieser WM darum, «dass Menschen zur Ermöglichung eines WM-Turniers entrechtet und massenweise in den Überarbeitungs-Hitze-Tod getrieben wurde. Es geht um fehlende Pressefreiheit und schlimmste Diskriminierungsformen gegenüber Frauen und der LGBTIQ*-Community», sagte Dario Minden, Sprecher von «Unsere Kurve», der Deutschen Presse-Agentur. «Und dass all dies der Fußballbranche in ihrer Spitze egal zu sein scheint, wenn die Geldbündel, mit denen gewedelt wird, nur dick genug sind. Es geht um einen moralisch verkommenen Sport, der sich noch vor jeden Karren spannen lässt.»

Katar steht vor dem WM-Turnier vom 20. November bis 18. Dezember wegen Menschrechtsverstößen und des Umgangs mit Arbeiterinnen und Arbeitern aus anderen Ländern schon lange in der Kritik. In der Vergangenheit war es auch zu tödlichen Unfällen auf den Baustellen gekommen. Die Regierung des Emirats verweist auf eigene Reformen und weist Teile der Kritik zurück.

Anfang der Woche hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) einen Kongress zu Katar mit Experten ausgerichtet. Abdulla Mohammed al Thani, der Botschafter Katars in Deutschland, betonte dabei, sein Land stehe seit zwölf Jahren im Fokus und habe viele Veränderungen angestoßen. Die Situation sei «noch nicht perfekt», der Wandel brauche Zeit: «Es ist nicht bei 100 Prozent, es ist eine Reise.»

Minden wendet sich direkt an Botschafter

Eine bewegende Szene spielte sich ab, als sich Fan-Vertreter Minden direkt an den Botschafter wandte und ruhig, aber bestimmt auf Englisch sagte: «Ich bin ein Mann, und ich liebe Männer. Ich habe Sex mit anderen Männern. Das ist normal. Gewöhnen Sie sich daran oder verschwinden Sie aus dem Fußball.» Der Appell sorgte für viel Aufsehen im Netz.

Das Bündnis «ProFans» mit seinen vielen Anhängern aus der Ultra-Szene wollte sich an so «einem solchen Whitewashing» wie beim Kongress des Verbandes, wie es hieß, erst gar nicht beteiligen. «Der Kongress hat offensichtlich eher die Funktion, das Gewissen der DFB-Führung zu beruhigen und den Verband in der Öffentlichkeit als engagiert in Sachen der Menschenrechte darzustellen», hieß es in einer Stellungnahme.

Bei den deutschen WM-Spielen in Katar werden der DFB und die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) jedenfalls eine mobile Fanbetreuung einsetzen. Der Weltverband FIFA warb diese Woche derweil für sein neu konzipiertes Fan-Festival in «spektakulärer Lage im al-Bidda-Park in Doha» mit «völlig neue Unterhaltungsangeboten».

DFB-Präsident Bernd Neuendorf tauschte sich im August mit Vertretern der LGBTIQ*-Community aus, die von einer Reise nach Katar abraten. Die englische Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, intergeschlechtliche sowie queere Menschen. Das Sternchen ist Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter.

DFB will im Rahmen seiner Möglichkeiten Einfluss nehmen

Der «Fan Club Nationalmannschaft» teilte auf dpa-Anfrage mit, bezüglich der Menschenrechtsfragen während der WM bei Unternehmen, «mit denen er in Katar direkt zusammenarbeiten wird, sorgfältig auf die Bedingungen für die Angestellten achten». Sollten sich «bei den DFB-eigenen Analysen und während des Aufenthalts Problemfälle auftun, wird der DFB im Rahmen seiner Möglichkeiten, Einfluss nehmen und versuchen, Abhilfe zu schaffen». Daran orientiere sich auch der Fan Club, dessen Fan-Camp in Dubai sein wird.

In den Bundesliga-Stadien sind nach Ansicht von Minden von «Unsere Kurve» nicht mehr als Plakate oder Banner zu erwarten, auf denen gegen die WM in Katar protestiert wird: «Es ist schließlich nicht ein Thema wie 50+1 oder Anstoßzeiten, bei denen Druck auf die deutschen Verbände spürbare Auswirkungen haben kann.»

Gastwirte kündigen WM-Verzicht an

In Nordrhein-Westfalen sorgte die Ankündigung von Gastwirten, auf die Ausstrahlung von WM-Spielen zu verzichten («Kein Katar in meiner Kneipe»), für Schlagzeilen. «Es ist das gute Recht eines jeden, sich die Spiele nicht anzugucken», sagte der deutsche FIFA-Sicherheitschef Helmut Spahn, der schon in Katar lebte und arbeitete, in einem Interview der «Frankfurter Rundschau». «Aber ich stelle auch fest: Wir haben eine riesige Ticketanfrage.»

Beim Thema Menschenrechte sei es ja interessant, «dass Organisationen wie Amnesty International oder auch die internationalen Gewerkschaften von Boykottaufrufen absehen, weil die die Fortschritte im Land anerkennen und die WM hier auch als Zugpferd sehen», sagte Spahn.

Das «Skandal-Turnier», mahnt «Unsere Kurve», dürfe nicht ohne Protest und kritische Begleitung aus der Zivilgesellschaft vonstattengehen. Nach Angaben von Sprecher Minden planen viele Vereinen alternative Veranstaltungen parallel zu den sportlichen Höhepunkten der WM wie Debatten über das Turnier und das Land oder über andere fanpolitische Themen oder Lesungen. Oder sie spielen und schauen einfach(en) Fußball, wie die Initiative «Back2Bolzen» vorschlägt: «Egal, ob ein kleiner Kick mit Freunden, Tischfußball oder der Support des heimischen Kreisliga-Vereins.»

Von Ulrike John und Thomas Eßer, dpa