Im emotionalsten Meisterglück seit mehr als zwei Jahrzehnten löste der Aufsichtsrat um Vereinspatron Uli Hoeneß ein gigantisches Bayern-Beben aus – und Oliver Kahn wurde darin vorübergehend sogar zum Twitter-Wüterich.
In empörten Tweets forcierte der im spektakulären Bundesliga-Saisonfinale vom Beschluss und noch mehr vom Ablauf seiner Ablösung als Vorstandschef tief getroffene Kahn über die Pfingsttage zunächst den Bruch mit seinem Herzensclub, bevor er via «Bild» doch noch versöhnliche Töne anschlug. «Wir werden uns – wenn alles abgekühlt ist – zusammensetzen und in Ruhe über alles sprechen», kommunizierte der 53-Jährige Richtung Vereinsführung.
Am Pfingstmontag meldete sich dann Uli Hoeneß via «Kicker» zu Wort und antwortete auf die Frage, ob es ein Fehler gewesen sei, Kahn zum Bayern-Chef zu machen? «Im Nachhinein muss man das so sagen.» Der Ehrenpräsident monierte eine «katastrophal schlechte Stimmung» und «totale Hektik» im Verein, was er Kahn und dessen Beratern ankreidete. «Auch wenn er als CEO die Erwartungen nicht erfüllt hat, steht meine Tür für Oliver immer offen», sagte Hoeneß.
Pfingsten 2023 wird als verstörendes Münchner Meister-Wochenende mit Misstönen und Paukenschlägen in die Vereinshistorie eingehen. Auch wenn sich die Fußballerinnen und Fußballer des FC Bayern in Dirndl und Lederhosen auf dem Marienplatz von tausenden rot-weiß gekleideter Fans mit ihren Trophäen feiern lassen konnten. Mittendrin war Ex-Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der wie Kahn gehen muss, aber im Gegensatz zu seinem Kompagnon erst beim 2:1 in Köln mitfieberte, dann mit der Mannschaft feierte und schließlich als treuer Diener des Vereins stilvoll abtrat. «Ich hätte gerne weitergemacht», sagte der 46-Jährige, dennoch gehe er «ohne Groll». Selbst sein Schutzpatron Hoeneß senkte auch bei ihm den Daumen.
Kahn weg, Salihamidzic weg – mit diesem Wumms endete eine von viel Unruhe, einem viel diskutierten Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel und klar verfehlten Zielen geprägte Münchner Chaos-Saison. «Wir hätten auch bei drei Titeln so gehandelt, die Entscheidung musste so getroffen werden», sagte Hoeneß dem «Kicker».
Von einem «extrem harten Jahr» sprach Joshua Kimmich, der die Vereinsführung für den Zeitpunkt des Doppel-Rauswurfes kritisierte. «Klar überrascht es einen am Tag der Meisterschaft, dass dann so etwas passiert. Ich finde, da hätte man jetzt auch noch zwei, drei Tage warten können, unabhängig von der Entscheidung, ob sie jetzt gut oder schlecht ist», sagte der Nationalspieler. «Wir haben auch jetzt ein politisches Thema im Club, das auch diesen Sieg und diese extreme Meisterschaft, diese extreme Willensleistung ein bisschen trübt», beklagte ebenso Trainer Thomas Tuchel.
FC Bayern vor «Neustart»
«Neustart» hieß das Schlagwort, das Vereinspräsident Herbert Hainer und der zum Kahn-Nachfolger beförderte langjährige Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen bei einer Pressekonferenz in der Allianz Arena ausgaben. Der 55-jährige Dreesen hätte den Verein eigentlich in Kürze nach zehn Jahren verlassen wollen. «Meine Lebensplanung war eine andere. Aber ich habe mit ganzer Überzeugung Ja gesagt», sagte der Ostfriese, der übrigens auch als Geschäftsführer zur Deutschen Fußball Liga hätte wechseln können.
Dreesen sprach von einem «Team», das er um sich scharen will. Dazu soll der langjährige Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge gehören, der an diesem Dienstag in den Aufsichtsrat gewählt werden soll. Mit seiner Erfahrung und seinem internationalen Netzwerk soll der 67-Jährige für den Fußball-Sachverstand sorgen und sein Transfer-Geschick einbringen.
Mister X – wer wird Sportvorstand?
Dazu wird nach Mister X gefahndet. Als neuer Sportvorstand wird «ein grobes Kaliber» gesucht, wie Hainer sagte. «Wir sind schon unterwegs, wir haben Ideen.» Hoeneß‘ Favorit soll Max Eberl sein, der aber erst vor wenigen Monaten nach einer privaten Auszeit bei RB Leipzig als Sport-Geschäftsführer eingestiegen ist. Eberl hat eine Bayern-Vergangenheit als Spieler. Und Hoeneß wollte ihn einst schon als Nachfolger von Matthias Sammer. Für den wurde damals nach langer Vakanz Salihamidzic installiert. Auch jetzt werde man sich Zeit lassen, wie Hoeneß bemerkte. Bis spätestens Weihnachten soll der Neue gefunden sein.
Hoeneß und Rummenigge, die alten Bayern-Granden, ziehen noch einmal die Strippen. Der 71-jährige Hoeneß führte gemeinsam mit Hainer schon am vergangenen Donnerstag auch die Trennungs-Gespräche mit Kahn und Salihamidzic, nachdem der Aufsichtsrat seinen Beschluss frühzeitig gefasst hatte. «Mit Hasan hat das sehr gut geklappt», berichtete Hainer. «Die Gespräche mit Oliver sind nicht so gut gelaufen, waren sehr emotional.» Es habe keine «einvernehmliche Lösung» gegeben. Teure Abfindungen kommen auch noch auf den Club zu.
Alles eskalierte darin, dass Kahn in Köln, wo Jamal Musiala mit seinem Tor in der 89. Minute für eine Gefühlsexplosion sorgte, nicht mehr als Tribünengast erwünscht war. Kahn twitterte, die Mitreise sei ihm «vom Club untersagt» worden. Er wies auch «die Behauptung» zurück, «dass ich ausgerastet bin, als ich über die Abberufung informiert wurde». Grundsätzlich wunderte er sich über den «Aktionismus» des Vereins vor dem Bundesliga-Finale. Hainer dagegen sprach von «Warnsignalen auf und neben dem Platz», die zum Handeln gezwungen hätten. «Die Saison ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben», sagte er.
Dreesen neuer Bayern-Boss
Schlüsselrollen nehmen nun der mit einem Zweijahresvertrag ausgestattete Dreesen als neuer Oberboss, aber auch Tuchel ein. Der Meistertrainer, der kaum Feierlaune verströmte, gilt als Schlüsselfigur im sportlichen Bereich. Tuchel hat konkrete Vorstellungen. «Meine zwei Hauptansprechpartner sind nicht mehr in der Verantwortung. Wir müssen eine neue Struktur finden», sagte der 49-Jährige. Die Säbener Straße müsse wieder ein «Ruhepol» werden. «Und dann werden wir Gas geben, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.»
Neues Personal wird auch in der Mannschaft gebraucht. Ein Mittelstürmer und ein Top-Sechser sollen kommen, dazu gilt die Rückkehr von Kapitän Manuel Neuer ins Tor als stabilisierender Faktor. «Im Sommer schieben wir das Ding nochmal richtig an», kündigte Tuchel an. Meisterheld Musiala gab die Ziele vor: «Im nächsten Jahr werden wir für alle Trophäen richtig kämpfen.» Dann aber ohne die Ex-Bosse Kahn und Salihamidzic.
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