Für kurze Zeit war die Meisterschale im Getümmel verschwunden. Etliche Fans durften die Titelkrönung nach jahrzehntelangem Warten mit der Trophäe feiern, die Bayer Leverkusens Kapitän Lukas Hradecky im Feierrausch an die Anhänger in der Nordkurve weitergegeben hatte.
Der Finne holte sich das begehrte Stück nach dem 2:1 gegen den FC Augsburg aber schnell wieder – und reckte sie weitere Male in die Höhe.
Als die Schale im Fan-Gewusel nicht mehr zu sehen war, «habe ich kurz Angst gehabt», gestand Torhüter Hradecky lachend: «Aber sie haben sie alle mit Respekt behandelt. Sie sind besser damit umgegangen als ich mit dem Ball.» Ihm sei «direkt klar» gewesen, dass er die Trophäe den Fans gibt, «sie haben genauso ihren Anteil wie die Mannschaft. Vielleicht kriege ich jetzt eine Strafe von der DFL. Aber vielleicht übernimmt der Verein das ja.» Beim Hochheben der Schale habe er nun darauf geachtet, «dass ich sie richtig herum hebe und nicht irgendeine Scheiße baue».
Auch der sonst ungern im Mittelpunkt stehende Meistermacher Xabi Alonso konnte sich den Fans an diesem besonderen Tag nicht entziehen. Der Spanier ließ sich am Zaun hochziehen und wurde anschließend hundertfach umarmt. «Es ist ein wichtiger Tag für den Verein, für uns alle», sagte er: «Aber es ist auch Moment zum Teilen mit den Fans.»
Die schönsten Umarmungen bekam Alonso aber nach seiner Rückkehr, als ihn seine Frau und drei Kinder auf dem Rasen ausgiebig herzten. Auch DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der bis 2022 insgesamt rund 25 Jahre bei Bayer gearbeitet hatte, saß bewegt auf der Tribüne und wippte rhythmisch zu den Fangesängen.
Weg zum Triple? Schritt eins von drei
Es war für den Verein ohnehin schon eine historische deutsche Meisterschaft, die erste überhaupt. Doch es wurde auch bundesweit ein historischer Titel. Denn Leverkusen ist die erste Mannschaft in der Bundesliga-Geschichte, die die ganze Saison ohne eine einzige Niederlage absolviert hat. Zudem ist es für alle Leverkusener eine besondere Saison: Außer Josip Stanisic als Ergänzungsspieler mit dem FC Bayern war noch nie ein aktueller Bayer-Spieler deutscher Meister.
Nach dem Schlusspfiff beim hatte sich der Leverkusener Rasen in eine Party-Zone verwandelt. Die Bayer-Profis hüpften zu «Looking For Freedom» von David Hasselhoff ausgelassen auf dem Rasen umher. Den größten Sonder-Jubel erhielt beim Gang auf das Alonso.
Die Leverkusener hatten zu Beginn des Jahrtausends ein echtes Meister-Trauma entwickelt. In den Jahren 2000 und 2002 verspielten sie im Saison-Finale sicher geglaubte Titel und bekamen den Beinamen «Vizekusen». Der ist nun abgestreift. «Die Geschichte hat Bayer noch eine Schale geschuldet», hatte Club-Chef Fernando Carro gesagt. In den Finalspielen der Europa League am Mittwoch in Dublin gegen Atalanta Bergamo und im DFB-Pokal am kommenden Samstag gegen Zweitligist 1. FC Kaiserslautern kann Bayer die Saison mit einem Triple krönen.
Sieg gegen Augsburg: Seit 51 Spielen ungeschlagen
Insgesamt 51 Pflichtspiele ist Bayer vom Start weg ungeschlagen. Mit 90 Punkten verpasste Bayer den historischen Punkterekord der Münchner aus der Saison 2012/13 um einen Zähler, was niemanden stören dürfte. Victor Boniface (12.) und Nationalspieler Robert Andrich (27.) hatten Bayer zum Abschluss gegen Augsburg mit 2:0 in Führung gebracht, der erst 18 Jahre alte Mert Kömür wurde bei seinem Startelf-Debüt mit dem Anschlusstreffer (62.) zum jüngsten Augsburger Bundesliga-Torschützen. Die Augsburger verpassten die theoretische Minimalchance auf ihre zweite Europacup-Teilnahme. Der im Oktober verpflichtete Trainer Jess Thorup hat dem FCA aber souverän die 14. Erstliga-Saison in Folge gesichert.
Die Leverkusener Fans feierten auf der Tribüne eine fast durchgängige Partie, die sie nur einmal freiwillig für einen bewegenden Moment unterbrachen. Nach 19:04 Minuten gedachten sie für eine Minute all jenen aus der Bayer-Familie, die die lange ersehnte Meisterschaft nicht mehr erlebt haben.
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