26. November 2024

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Bale und Kampfgeist: Wales auf den Spuren von 2016?

Vor fünf Jahren erreichte Wales bei der EM sensationell das Halbfinale. Als Außenseiter überzeugt das Team auch diesmal. Der mitunter eigenwillige Superstar stellt sich in den Dienst der Mannschaft.

Der Star des Spiels ist Gareth Bale bei Wales eigentlich immer. Der 31-Jährige ist das große Fußball-Idol seiner Heimat, hat fast 14 Mal so viele Follower bei Instagram, wie Wales Einwohner hat – nämlich knapp 44 Millionen – und polarisiert auf und neben dem Platz.

Im Anschluss an den 2:0-Sieg gegen die Türkei erhielt Bale die Auszeichnung «Star des Spiels» auch offiziell und sogar einen Pokal dazu. Die UEFA ehrt damit den sportlich wertvollsten Akteur jeder EM-Partie. Nach einem holprigen Turnierstart zeigte Bale eindrucksvoll, welche Ausnahmeklasse er noch immer hat und dass er als echter Anführer seines Teams auch in schwierigen Situationen vorangeht.

«Er hat Charakter gezeigt»

Der Kapitän spielte einen Traumpass nach dem anderen, bereitete beide Tore vor und ließ sich auch von einem Rückschlag nicht aus dem Konzept bringen. Beim Stand von 1:0 schoss Bale einen selbst herausgeholten Foulelfmeter weit über das Tor und verpasste die Chance zur Vorentscheidung. «Er ist positiv damit umgegangen. Er hat Charakter gezeigt», lobte Trainer Robert Page. «Das sagt viel über ihn als Mensch.»

Nicht immer fielen die Beurteilungen Bales in den vergangenen Jahren so positiv aus. Auf dem Rasen schöpfte der zuletzt von Real Madrid an Tottenham verliehene Supersprinter sein Potenzial längst nicht immer aus. Neben dem Platz zog Bale den Ärger der Verantwortlichen und Fans des spanischen Rekordmeisters auf sich.

Nach der erfolgreichen Qualifikation für die EM-Endrunde ließ er sich mit seinen Nationalteamkollegen lachend hinter einem Banner mit der Aufschrift «Wales. Golf. Madrid. In that order» («Wales. Golf. Madrid. In der Reihenfolge») fotografieren. In Spanien warf man ihm vor, nicht leidenschaftlich genug für die Königlichen zu spielen und sich nicht in die Mannschaft zu integrieren.

Bale als Teamplayer

Bei der Europameisterschaft tritt Bale dagegen als Teamplayer auf. Die Worte «Charakter» und «Stolz» fielen in den Gesprächen mit den Spielern und Page nach dem womöglich entscheidenden Sieg auf dem Weg ins Achtelfinale auffällig oft. Sie beschreiben gut, wofür die walisische Nationalmannschaft bei ihrer erst zweiten Teilnahme an einer EM-Endrunde wieder steht. «Wer die Tore macht und wer den Assist gibt, ist egal: Wir feiern zusammen», sagte Bale.

Solche Sätze sind im Fußball-Business zwar nicht selten und letztendlich wissen nur die Spieler selbst, wie viel Wahrheit dahinter steckt. Die Vehemenz, mit der die Waliser jedoch in Aserbaidschan ihren Teamgeist betonen, verbunden mit der von allen auf dem Platz gezeigten Einsatzbereitschaft, sprechen jedoch für die Geschlossenheit. Niemand schert negativ aus, auch Bale oder Ausnahmekönner und 1:0-Torschütze Aaron Ramsey heben sich nicht verbal hervor oder lassen die anderen für sich arbeiten.

In den Mannschaftskreis, in dem Bale gegen die Türken als Anheizer in der Mitte auftrat, beziehen die Spieler bewusst die Betreuer mit ein. Bei der Nationalhymne drehen sich die Profis in Richtung der eigenen Fans in der Kurve. Als kleine Fußballnation geht es nur, wenn alle zusammenstehen. Das betonen die Waliser immer wieder.

Achtelfinale möglich

Eine Wiederholung des Sensationserfolges der EM 2016, als die Drachen erst im Halbfinale am späteren Champion Portugal scheiterten, schien vor dem Turnier utopisch. Zu stark die Gruppe, zu ungünstig die Vorzeichen – schließlich müssen die Nationalspieler auf ihren eigentlichen Trainer Ryan Giggs verzichten, der sich Anfang kommenden Jahres in einem Gerichtsprozess wegen Körperverletzung verantworten muss.

Mittlerweile scheint nichts mehr unmöglich, auch wenn es bis ins Halbfinale natürlich noch ein weiter Weg ist. Zumindest die K.o.-Phase ist mit vier Punkten aus zwei Spielen ganz nah. Und mit einem Gareth Bale in dieser Verfassung und ihrem Kampfgeist müssen sich die Waliser vor kaum einem Gegner verstecken.

Von Thomas Eßer, dpa