Mit der äthiopischen Fahne um die Schultern feierte Tigst Assefa ihre zuvor kaum für möglich gehaltene Marathon-Fabelzeit. In 2:11:53 Stunden blieb Assefa in Berlin mehr als zwei Minuten unter der bisherigen Bestmarke, nachdem Eliud Kipchoge dort kurz zuvor als erster Läufer zum fünften Mal triumphiert hatte.
Unter dem strahlend blauen Himmel nahe dem Brandenburger Tor bekreuzigte sich Assefa erst und sank auf die Knie, dann hüllte sich die 29-Jährige in die Fahne ihres Landes. Den bisherigen Rekord hatte die Kenianerin Brigid Kosgei vor knapp vier Jahren in Chicago mit 2:14:04 Stunden aufgestellt.
«Ich hätte nicht erwartet, so schnell zu laufen – also unter 2:12. Aber das ist das Ergebnis harter Arbeit», sagte Assefa nach ihrem Marathon-Quantensprung am Sonntag. Als Olympia-Favoritin für 2024 mochte sie sich noch nicht sehen. «Das nationale Komitee muss mich erst auswählen», erklärte sie zurückhaltend.
Amanal Petros zeigte sich nach seinem deutschen Rekord in 2:04:58 Stunden so glücklich und froh wie nie und wurde Neunter. «Nach 25 Kilometern hatte ich kleine Probleme mit meinen Beinen, die waren ziemlich fest, aber die Atmosphäre hat mich nach vorn gebracht», sagte Petros zu den gewohnt vielen Zuschauern, die alle Aktiven wieder anfeuerten.
Ganz vorn gewann Kipchoge in 2:02:42 Stunden als erster Läufer zum fünften Mal über die 42,195 Kilometer in Berlin. Der 38 Jahre alte Kenianer verpasste seinen Weltrekord aus dem Vorjahr um gut anderthalb Minuten, nachdem er zunächst in Rekordtempo gestartet war.
Prosteste vor dem Start
Aufhalten konnten ihn wie die anderen Läuferinnen und Läufer auch nicht Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation. Sie hatten vor dem Start versucht, die Straße des 17. Juni zu blockieren und wurden von Sicherheitskräften weggezogen. Am Brandenburger Tor kurz vor dem Ziel waren nach einer Aktion der Gruppe vor einer Woche noch Spuren oranger Farbe zu sehen.
Dafür hatte Assefa keine Augen, ein Jahr nach ihrem Berliner Streckenrekord von 2:15:37 Stunden stürmte sie unterstützt von moderner Schuh-Technologie und bei perfekten äußeren Bedingungen ihrer Fabelzeit entgegen. «Eine kleine Verbesserung zum Vorjahr hatte ich schon erwartet. Die erste Hälfte bin ich so gelaufen, dass ich in der zweiten Hälfte nicht müde werde», erklärte Assefa zum schnelleren zweiten Teil. Dass sie spurten kann, beweist ihre 800-Meter-Bestzeit von unter zwei Minuten. Die zweitplatzierte Kenianerin Sheila Chepkirui hatte knapp sechs Minuten Rückstand (2:17:49) und lief dennoch eine Weltklassezeit.
Den zuvor letzten Frauen-Weltrekord in Berlin hatte 2001 die Japanerin Naoko Takahashi aufgestellt, sie blieb vor 22 Jahren in 2:19.46 Stunden als erste Athletin unter 2:20 Stunden. Domenika Mayer unterbot als 14. in 2:23:47 Stunden um gut drei Minuten die internationale Olympia-Norm, den anderen deutschen Läuferinnen gelang dies nicht. Debbie Schöneborn (2:27:35) fehlten nur 45 Sekunden. Den deutschen Rekord (2:19:19) hatte 2009 Irina Mikitenko in Berlin aufgestellt, wo nun beide Weltrekorde und beide deutschen Rekorde gelaufen wurden.
Kipchoge: «Sieg ist das Wichtigste»
Kipchoge setzte sich vor seinem Landsmann Vincent Kipkemoi (2:03:13) und dem Äthiopier Tadese Takele (2:03:24) durch. «Ich habe den Weltrekord verpasst, aber etwas Anderes hat geklappt. Der Sieg ist das Wichtigste», sagte der Marathon-Star, der in einem inoffiziellen Rennen in Wien 2019 sogar schon unter zwei Stunden geblieben war und am Ende seine Verfolger näher kommen sah. «Ich werde diese Lehren für meine Olympia-Vorbereitung nutzen. Ich werde versuchen, Geschichte zu schreiben», versprach er mit Blick auf einen möglichen dritten Olympiasieg.
Petros setzte neue deutsche Maßstäbe. Der 28-Jährige war rund anderthalb Minuten schneller als bei seinem bisherigen deutschen Rekord am 5. Dezember 2021 in Valencia. Knapp über der internationalen Olympia-Norm (2:08:10) blieben trotz persönlicher Bestzeiten Samuel Fitwi (2:08:28) als 18. und Hendrik Pfeiffer (2:08:48) auf Rang 20.
Für den größten deutschen Stadtlauf hatte sich die Rekordzahl von fast 48.000 Läuferinnen und Läufern aus 156 Ländern angemeldet.
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