22. November 2024

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«Angst ist begründet»: Die Furcht vor der Corona-Tour

Kurz vor der Tour de France brach die heile und fast virenfreie Radsport-Welt zusammen. Bei der Tour de Suisse grassierte das Coronavirus wieder. Jetzt ist die Sorge bei der Frankreich-Rundfahrt groß.

Das Virus ist zurück. Kurz vor dem Start der 109. Frankreich-Rundfahrt geht im Peloton die Sorge vor einer Corona-Tour um.

Teams verschoben ihre Nominierungen, Stars wie Titelverteidiger Tadej Pogacar und Primoz Roglic verzichteten sogar auf ihre nationalen Meisterschaften – bloß kein unnötiger Kontakt, bloß kein unnötiges Risiko so kurz vor dem Start am Freitag in Kopenhagen.

«Es ist natürlich ein beschissenes Gefühl und die Angst ist durchaus begründet», sagte der deutsche Profi Jonas Rutsch. Der 24-Jährige wird seine zweite Tour de France fahren – sollte sein obligatorischer Corona-Test negativ sein. Rutsch hat vor etwas mehr als einer Woche hautnah erlebt, wie das Coronavirus mit gnadenloser Vehemenz das Fahrerfeld der Tour de Suisse dezimierte: «Wir saßen morgens auf einmal nur noch zu zweit am Tisch – am Abend zuvor waren wir noch ein komplettes Team.» Vier Teams mussten in der Schweiz komplett aufgeben, auch nach dem Ende der Rundfahrt gab es etliche positive Tests.

Kleine Lotterie

Es mutet an wie eine kleine Lotterie, wer letztlich am Freitag im Einzelzeitfahren in Dänemarks radbegeisterter Hauptstadt von der Startrampe rollen kann. Da sind Stars wie der frühere Roubaix-Sieger John Degenkolb oder der dreimalige Weltmeister Peter Sagan, die sich – wenn man so will – rechtzeitig infiziert hatten und mittlerweile wieder fit sind. Beim deutschen Hoffnungsträger Maximilian Schachmann schlug der Test Mitte vergangener Woche an. Für den Berliner wird es ein Wettlauf gegen die Zeit und um die Fitness.

Um an den Start zu gehen, genügt ein negativer Schnelltest. Zwei weitere Schnelltests sind zudem während der Tour am zweiten und dritten Ruhetag vorgesehen. Diese Bestimmungen verschickte der Weltverband UCI am Wochenende. Zuvor waren die als sensibler geltenden PCR-Tests Pflicht. Zudem gibt es teaminterne Protokolle für die Fahrer nach einer Infektion. So musste Degenkolb sich erst gründlich durchchecken lassen, eher er wieder aufs Rad durfte.

Der Umgang mit dem Virus ist durchaus unterschiedlich. Es gibt Teams wie die niederländische Équipe Jumbo-Visma von Tour-Favorit Roglic, die bei einem positiven Test schon mal alle Fahrer aus einem Rennen nehmen oder ein ganzes Trainingslager abbrechen. In der öffentlichen Wahrnehmung fuhr das Team damit vor allem im Frühjahr sehr gut und feierte Erfolge, als viele Mannschaften sichtliche Probleme hatten.

Geschäftsmodell gefährdet

Dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, zeigte sich jüngst in der Schweiz. «Da hat es sowohl die Teams erwischt, die sich ganz normal an die Regeln halten als auch die, die sich völlig abschotten», sagte Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe. Man solle sich als Hochleistungssportler mit gesundem Menschenverstand vor einem Event wie der Tour natürlich besonders schützen, betonte Denk. Das sei aber auch schon vor Corona so gewesen.

Den Manager aus dem oberbayrischen Raubling treibt vor allem die Sorge um, dass sich der Radsport wie 2020 in eine Blase zurückziehen muss und sich dadurch von den Fans und der Öffentlichkeit entfernt. Hier steht das Geschäftsmodell auf dem Spiel. «Ich habe Bauchweh, dass wir uns abschotten. Dann sind wir vielleicht irgendwann virenfrei, aber auch budgetfrei», sagte Denk.

Er plädiert für einen normalen und sorgsamen Umgang mit dem Virus. Dazu zählt, dass man vor der Tour besonders vorsichtig ist, sich aber nicht völlig in einer Blase verschanzt. Der Radsport lebt wie kaum eine andere Sportart von der extremen Nähe zu den Fans. Diese Nähe will und darf die Sportart nicht verlieren. Auf der anderen Seite birgt gerade die Nähe ein momentan scheinbar schwer zu kalkulierendes Risiko.

Von Tom Bachmann und Christoph Sicars, dpa