24. November 2024

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Abschied mit Bronze: Ringer Stäbler bannt Olympia-Fluch

Ringer Frank Stäbler holt zum Ende seiner Laufbahn doch noch die ersehnte olympische Medaille. Seine Abschiedsvorstellung ist ein Drama in vier Akten - und sein Körper von der Schinderei gezeichnet.

Am Ziel seiner olympischen Medaillenträume zog Frank Stäbler symbolisch noch auf der Matte die Schuhe aus und verneigte sich.

Wer beim letzten großen Auftritt des dreimaligen Ringer-Weltmeisters in der Makuhari Messe-Halle in Tokio dabei sein durfte, applaudierte ihm anerkennend – andere Athleten, Betreuer und Helfer. Es war ein ganz besonderer Moment. Und für Stäbler selbst trotz seiner vielen Erfolge zuvor wohl der schönste der Karriere. In seinem allerletzten internationalen Kampf hat der Musberger am Mittwoch Bronze und damit noch die ersehnte Olympia-Medaille geholt.

«Traum ist in Erfüllung gegangen»

«Atemberaubend» sei das, sagte Stäbler schweißüberströmt. «Der Traum ist in Erfüllung gegangen. Ich habe es mit den allerletzten Kräften nach Hause gebracht. Für mich ist diese Bronzemedaille wie eine Goldmedaille.» Nach 5:0-Führung hatte der Schwabe in einem der kleinen Finals der Gewichtsklasse bis 67 Kilogramm gegen den Georgier Ramas Soidse nochmal zittern müssen, siegte letztlich aber mit 5:4. Was für ein Kraftakt zum Abschluss seiner Laufbahn! Was für eine Erlösung nach all den Enttäuschungen bei den Spielen davor!

Die letzte Sekunde seines Kampfes, in der er realisiert habe, dass es diesmal tatsächlich für olympisches Edelmetall reichen würde, habe ihn mit «so viel Stolz und so viel Liebe für alle Menschen erfüllt, die immer hinter mir gestanden haben», sagte Stäbler – dann brach die Stimme des völlig überwältigten 32-Jährigen. 2012 in London hatte er den Bronze-Kampf verloren, 2016 in Rio de Janeiro wurde er geschwächt von einer Fußverletzung Siebter. Olympia und Stäbler: es wollte nicht passen. Bis zum letzten Moment. In dem schlug er dann doch noch zu.

Auch Kudla holt Bronze

Und kaum war der Ausnahmeathlet in der Kabine verschwunden, holte auch noch sein Teamkollege Denis Kudla – wie schon 2016 – Bronze in der Klasse bis 87 Kilogramm. Dank dieser beiden Medaillen und Gold durch Aline Rotter-Focken (Klasse bis 76 Kilogramm) sind es für den Deutschen Ringer-Bund (DRB) die erfolgreichsten Spiele seit 1992 in Barcelona. Kudla hat mit seinen 26 Jahren womöglich auch noch viele große Kämpfe vor sich. Für Rotter-Focken und Stäbler ist nun aber Schluss. Und der Körper des Schwaben wird es ihm danken.

Er habe ihm «versprochen, wenn er mich nochmal trägt, dann werde ich mich mein Leben lang zurücklehnen», sagte Stäbler über seinen komplett austrainierten, aber eben auch völlig ausgelaugten Body. In der Vorbereitung auf Tokio hatte er nochmal besonders leiden müssen. Schon seit längerer Zeit kämpft Stäbler mit den Folgen einer Schultereckgelenksprengung. Vergangenen Herbst infizierte er sich mit dem Coronavirus und erlebte einen Leistungseinbruch. Seitdem setzt er auf eine spezielle Atemtherapie. Und weil er normal rund 75 Kilogramm wiegt, musste er für die Spiele in Japan acht Kilogramm abnehmen.

Nach seinem Auftaktsieg gegen den Serben Mate Nemes und der Viertelfinal-Niederlage gegen den späteren Olympiasieger Mohammad Reza Geraei war Stäbler am Dienstag gefühlt schon draußen, durch den späteren Finaleinzug des Iraners aber wieder drin – zwar nicht mehr im Rennen um Gold, aber in der Hoffnungsrunde um Bronze. Viel Kraft habe es ihn gekostet, am Mittwochmorgen das erforderliche Gewicht nochmal zu bringen, berichtete er. Magen-Darm-Probleme habe er gehabt. Aber er biss sich irgendwie durch. Erst gegen den Kolumbianer Julian Stiven Horta Acevedo. Und dann auch gegen Soidse.

Das letzte Mosaiksteinchen

Es war ein Drama in vier Akten, das der langjährige deutsche Vorzeigeringer bei seiner Abschiedsvorstellung nochmal bot – und das auch sein Bundestrainer Michael Carl mit «200er-Puls» verfolgte. Es passte zu den vielen Aufs und Abs in seiner Karriere. Wegen eines bizarren Streits in seinem Heimatverein trainiert Stäbler längst nicht mehr in dessen Halle, sondern in einem umgebauten Hühnerstall auf dem Hof seiner Eltern. Seine ursprüngliche Gewichtsklasse war aus dem Programm für Tokio gestrichen worden, weshalb er wieder diese Abnehm-Tortur auf sich nahm. Und dann wurden die Spiele in Japan coronabedingt auch noch verlegt. Stäbler, der schon 2020 aufhören wollte, musste noch ein Jahr dranhängen – und sich weiterquälen.

Doch es sollte sich lohnen. «In Rio habe ich mir geschworen, dass ich einmal in meinem Leben eine olympische Medaille in den Händen halten werde», sagte Stäbler, ehe er aufs Siegerpodest kletterte und es sich endlich holte: das letzte Mosaiksteinchen, das der prägendsten Figur in der jüngeren Historie des deutschen Ringens noch gefehlt hatte.

Von Christoph Lother, dpa