Als Pauline Schäfer-Betz ihren Abgang sicher gelandet hatte, riss sie beide Arme hoch, warf den Kopf in den Nacken und ballte die Fäuste.
In diesem Moment im General Gymnasium von Kitakyūshū konnte die 24 Jahre alte Chemnitzerin noch nicht wissen, dass sie bei den Turn-Weltmeisterschaften in Japan Silber und damit ihre dritte WM-Medaille am Schwebebalken gewinnen würde. Doch nach einem sauberen Vortrag und 13,80 Punkten standen die Chancen für die als Vierte im Neuner-Feld gestartete Deutsche gut für einen weiteren Podestplatz nach ihrem Titelgewinn 2017 in Montréal und WM-Bronze 2015 in Glasgow.
Wenig später fiel großer Druck von der gebürtigen Saarländerin ab. «Ich bin superhappy und stolz», kommentierte Schäfer-Betz ihren zweiten Platz glücklich in der virtuellen Mixed Zone. «Ich habe keine Worte hierfür.» Allein die Japanerin Urara Ashikawa turnte mit 14,10 Punkten einen höheren Wert auf dem zehn Zentimeter schmalen Balken ein. Die Teamgefährtin der neuen Weltmeisterin, Mai Murakami, wurde mit 13,733 Punkten Dritte und sicherte sich später noch Gold am Boden. Die Führenden nach dem Vorkampf, Luo Rui aus China und Mehrkampf-Weltmeisterin Angelina Melnikowa aus Russland, brachten ihre Übungen nicht ohne Sturz durch.
Hoher Stellenwert nach anstrengendem Jahr
«Ich habe meinen Medaillensatz voll, aber der Stellenwert dieser Medaille ist noch ein bisschen höher als der der anderen», sagte Schäfer-Betz. Das vergangene Jahr sei eine «Herausforderung» gewesen. Im November 2020 hatte die Sportlerin in der Öffentlichkeit Vorwürfe gegen ihre langjährige Trainerin Gabriele Frehse erhoben. Von psychischer Gewalt und Medikamentenmissbrauch war die Rede. Noch immer sei sie deshalb Anfeindungen ausgesetzt, betonte die Athletin. «Ich habe in den Wochen und Monaten der Vorbereitung versucht, das alles auszublenden und mich auf mich zu konzentrieren. Ich denke, das Ergebnis spricht für sich», berichtete sie.
Gabriele Frehse hatte die Anschuldigungen mehrfach bestritten. Das Arbeitsgericht Chemnitz entschied, dass die außerordentliche Verdachtskündigung durch den Olympiastützpunkt Chemnitz unwirksam ist und die 61-Jährige weiter beschäftigt werden muss. Nach Auffassung des Gerichts hätten für die Kündigung keine ausreichenden Gründe vorgelegen.
Starke Nerven waren notwendig
Schäfer-Betz, die knapp zwei Monate nach den Olympischen Spielen in Tokio als einzige deutsche Turnerin erneut die Reise nach Japan angetreten hatte, musste auch in der Entscheidung starke Nerven beweisen. Bevor sie mit ihrer Kür beginnen konnte, gab es durch einen Einspruch der Chinesen gegen die Wertung Luos eine längere Pause, und sie stieg noch einmal vom Podium herunter. Beim Angang hatte sie zu kämpfen, «da hatte ich kurz ein bisschen Puls», sagte die Abiturientin, «mehr noch als sowieso schon».
Nach ihrer Übung, in der sie wie schon bei ihrem dritten Platz im Vorkampf trotz anderer Pläne nur 5,4 Punkte in der Schwierigkeit erreichte, aber mit 8,4 die beste Ausführung im Feld zeigte, musste sie noch zittern und fünf weitere Turnerinnen abwarten. Schäfer-Betz peilt nun 2022 die Europameisterschaften in München und die WM in Liverpool an.
Von den fünf Turnern von Bundestrainer Valeri Belenki hatte keiner eine Medaillenentscheidung erreicht. Der Olympiazweite am Barren, Lukas Dauser (Chemnitz), und der EM-Zweite am Reck, Andreas Toba (Hannover), hatten auf einen Start in Japan verzichtet.
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