Philipp Grubauer verließ das Eis schon frühzeitig. In der letzten Minute versuchten die Seattle Kraken, mit einem weiteren Feldspieler den Ausgleich gegen die Vegas Golden Knights doch noch zu erzwingen und der Nationaltorwart machte Platz.
Aber auch dieser im Eishockey übliche Schachzug half nichts: Die Kraken verloren am Dienstagabend (Ortszeit) 3:4 gegen die Vegas Golden Knights – und damit nicht nur den Auftakt in die NHL-Saison, sondern zugleich auch den Start in die erste Saison ihrer Geschichte. Denn die Kraken mit dem 29 Jahre alten Rosenheimer im Tor sind das 32. Team der National Hockey League.
Jüngstes Team der Liga
In ihrer Motivation unterscheiden sich die Seattle Kraken von keinem der anderen 31 Mannschaften in der NHL – allen geht es um Erfolg, um Siege, ums Geschäft. Trotzdem ist das jüngste Team der Liga ein außergewöhnlicher Teil des großen Ganzen. Denn in der Heimatstadt von Starbucks, Microsoft und Amazon versucht die Investorengruppe um den Filmmogul Jerry Bruckheimer diesen Neustart anders zu machen, als das im US-Sport sonst üblich war. Ökologischer, diverser, moderner.
Viele angestellte Frauen sollen diesen Anspruch repräsentieren, bei den Führungskräften stellen sie den Angaben zufolge die Mehrheit. Auch Angehörige von Minderheiten der US-Gesellschaft – also etwa Schwarze oder Leute mit Vorfahren in Asien – gibt es US-Medienberichten zufolge in den Büros der Kraken mehr als bei den anderen NHL-Teams im vor allem von weißen Menschen geprägten Eishockey Nordamerikas.
Nachhaltige Spielstätte
Und dann ist da die Arena, die sie auf der Homepage stolz und etwas großspurig als die nachhaltigste und verantwortungsvollste Halle der Welt bewerben. Der Anspruch und das Versprechen: Kein Einmalplastik ab 2024, ein sparsamer Umgang mit Wasser, das bei Regen aufgefangen und für das Eis in der Halle genutzt wird, und ein Ausgleich des anfallenden Kohlenstoffausstoßes. Bald will man die erste zertifizierte klimaneutrale Sportstätte der Welt haben.
Billig ist all das nicht: Die Renovierung der Seattle Center Arena, die nun Climate Pledge Arena heißt, hat mehr als eine Milliarde US-Dollar verschlungen. Doch das Interesse bei den Menschen in der Stadt ist riesig, die ersten 10.000 Dauerkartenanträge gab es binnen zwölf Minuten, am ersten Tag waren es 32.000 – das sind fast doppelt so viele, wie es Plätze gibt. Und das alles im März 2018: Dreieinhalb Jahre vor dem ersten Spiel.
Grubauer war damals noch bei den Washington Capitals, holte ein paar Monate später den Stanley Cup und ging dann im Sommer zu den Colorado Avalanche. Dort entwickelte er sich so gut, dass er in der vergangenen Saison ganz offiziell einer der drei besten Torhüter der NHL war – und die Avalanche ihn auch gegen einen Wechsel zu den Kraken schützten oder sperrten – je nach Blickwinkel.
Aufstieg durch Geld
Kommt in der NHL ein neues Team in die Liga, passiert das nicht durch einen Aufstieg, sondern durch Geld. Die Liga vergibt Lizenzen an Eigentümergruppen und in Städte, von denen sie sich selbst einen Wachstum erhofft – in Seattle ist das der Fall.
Damit eine neue Mannschaft von Beginn an konkurrenzfähig ist, darf sie sich je einen Profi bei den anderen Teams der Liga schnappen. Die Konkurrenz wiederum darf neun ihrer Spieler vor diesem Zugriff schützen. Die Avalanche taten das bei Grubauer. Doch einen neuen Vertrag boten sie ihm auch zum Erstaunen des Bayern nicht an. «Sie hatten die Chance, sie hatten Zeit – hat nicht geklappt», sagte Grubauer der «Süddeutschen Zeitung» dazu.
Der Schritt von einem Titelkandidaten wie den Avalanche zu einem Neuling wie den Kraken mag wie ein Rückschritt wirken, macht für Grubauer aber Sinn. Und das nicht aus Gehaltsgründen.
Sechsjahresvertrag als Vertrauensbeweis
In Seattle fühlt er sich gewollt, der angebotene Sechsjahresvertrag war ein Vertrauensbeweis. «Das bedeutet viel. Das Team will dich. Nicht nur für ein Jahr oder zwei und dann, wenn es nicht funktioniert, bis du weg», sagte er «The Athletic». «Die binden sich an dich für sechs Jahre.» Das machen nicht viele Teams, seit es auch in der NHL eine Gehaltsobergrenze gibt. Zudem kann er die Kultur der neuen Mannschaft als Routinier entscheidend mitbestimmen.
Und dann ist da ja auch noch der Gegner vom Start, die Golden Knights. Die waren vor vier Jahren das letzte Team, das neu hinzukam in die Liga – und direkt bis ins Finale um den Stanley Cup marschierte. Seit dem Start 2017 war die Mannschaft in vier Jahren dreimal mindestens im Halbfinale.
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