24. November 2024

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Messi und Neymar mittendrin: Der Abbruch-Eklat von São Paulo

Mit dem Abbruch des Klassikers zwischen Brasilien und Argentinien ist die Empörung bei Lionel Messi und Co. über die gnadenlose brasilianische Gesundheitsbehörde groß. Der Fall beschäftigt die FIFA.

Der Corona-Eklat beim Super Clássico in der WM-Qualifikation hat nicht nur die Weltstars Lionel Messi und Neymar, sondern ganz Brasilien und Argentinien in größte Aufregung versetzt.

«Das Spiel, das nicht stattgefunden hat», schrieb das brasilianische Portal «Globoesporte» nach einem so nie da gewesenen Spielabbruch, weil Beamte der Gesundheitsüberwachungsbehörde, die etwa auch Corona-Impfstoffe zulässt, drei argentinische Spieler von englischen Clubs in São Paulo vom Platz holen wollten. Der Fußball-Weltverband FIFA muss nun ein gewaltiges Problem lösen. Für die Profis rund um den Globus dürfte die Botschaft lauten, dass es in der Pandemie auch für sie keine Sonderrechte gibt.

Die argentinische Sportzeitung «Olé» sprach am «unvergesslichen 5. September 2021», von «Skandal» und «brasilianischer Schande». Nachdem die Partie gestoppt worden war, kehrte Messi auf den Rasen zurück. Schon nicht mehr im Trikot, sondern in einem Fotografen-Leibchen sprach der Neuzugang von Paris St. Germain mit brasilianischen Spielern, Trainer Tite und Seleção-Koordinator Juninho Paulista.

Nicht mal fünf Minuten gespielt

«Wir gehen», sagte Messi, wie später in einem Video des brasilianischen Fernsehens zu sehen ist. «Sie haben es auf die falsche Art und Weise gemacht. Aber sie haben Bescheid gesagt, dass die Spieler benachrichtigt wurden», sagte Juninho Paulistano auf Spanisch. «Nein, sie haben uns nicht Bescheid gesagt«, entgegnete Messi. «Wir sind seit Tagen hier. Sie hätten am ersten Tag kommen sollen und nicht so.»

Was war geschehen? In einer Hauruck-Aktion 4:50 Minuten nach dem Anpfiff hatte Brasiliens Gesundheitsbehörde Anvisa die Begegnung zwischen den Erzrivalen wegen Verstößen gegen Corona-Bestimmungen unterbrochen. Die Bilder gingen um die Welt. Mitarbeiter der Anvisa, einer unter ihnen mit einer Kladde in der Hand, holten die drei argentinischen England-Profis Emiliano Martínez, Cristian Romero und Giovanni Lo Celso vom Rasen. Als sie das Spielfeld betraten, führte dies fast zu einer Rangelei mit argentinischen Akteuren. Auch Neymar schaute ungläubig, Messi schien die Welt nicht mehr zu verstehen.

Die FIFA bedauerte den Vorfall und übergab die Angelegenheit der Disziplinarkommission. Informationen über einen Nachholtermin für das Spiel oder einen etwaigen Punktverlust für eine der Mannschaften gab es zunächst nicht. Der Brasilianische Fußballverband CBF äußerte sich «absolut überrascht» über den Zeitpunkt der Maßnahme. Aus seiner Sicht hätte die Anvisa viel angemessener handeln können – und das schon in den Tagen vor dem Spiel. Der Argentinische Verband AFA teilte mit, die Delegation der Albiceleste habe sich seit dem 3. September in Brasilien aufgehalten.

Quarantäne angeordnet

Wenige Stunden vor dem Spiel hatte die Anvisa Quarantäne für die vier Argentinier Martínez und Emiliano Buendía (beide Aston Villa) sowie Lo Celso und Romero (beide Tottenham Hotspur) angeordnet. Bei der Einreise aus Caracas nach dem ersten Quali-Spiel gegen Venezuela gaben die England-Profis laut der Anvisa nicht an, dass sie in den vergangenen 14 Tagen im Vereinigten Königreich, Nordirland, Südafrika oder Indien gewesen sind. Ausländische Reisende, die in diesem Zeitraum dort waren, dürfen wegen der Corona-Beschränkungen nicht nach Brasilien einreisen.

Das brasilianische Fernsehen fing mehrere Unterhaltungen zwischen Spielern und Trainern und Kommentare aus dem Chaos auf dem Spielfeld ein. «Sie haben 24 Stunden vor dem Spiel, 72 Stunden vor dem Spiel, sie müssen es zum Zeitpunkt des Spiels machen», zürnte Seleção-Trainer Tite in Richtung der Anvisa-Beamten. Einer Mitteilung der Anvisa zufolge hatte die Behörde zuvor alles versucht, an die argentinische Mannschaft heranzukommen, wurde aber abgeblockt.

Die Gäste-Mannschaft begab sich nach dem jähen Ende des Spiels in die Umkleidekabine, während die Brasilianer blieben und später ersatzweise eine Trainingseinheit einlegten. Der Bus mit der Albiceleste fuhr erst nach Stunden Richtung Flughafen. Am Freitag soll es für Messi und Co. gegen Bolivien weitergehen.

Regierung empört

Der Super Clássico sollte eigentlich die Revanche für das Finale der Copa América im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro im Juli werden, als Argentinien mit 1:0 gegen Brasilien und Messi seinen ersten internationalen Titel mit der Nationalmannschaft gewann.

Die argentinische Regierung reagierte schnell auf den Eklat – und empört. «Wenn Brasilien das Herkunftsland der argentinischen Spieler über das von der FIFA festgelegte Protokoll hinaus als Risikozone betrachtet hätte, dann hätte es zum Zeitpunkt der Einreise in sein Hoheitsgebiet handeln können», schrieb Florencia Carignano, Direktorin der argentinischen Migrationsbehörde, auf Twitter. «Drei Tage zu warten und dann auf das Feld zu gehen und ein Spiel zu unterbrechen, scheint eher eine Inszenierung als eine Gesundheitsmaßnahme zu sein.»

Diplomatische Verwerfungen

Einem Bericht von «Globoesporte» zufolge hatten der südamerikanische Fußballverband Conmebol und der brasilianische Fußballverband CBF bei der brasilianischen Regierung interveniert, um die vier argentinischen England-Profis gegen Brasilien spielen lassen zu können. Demnach sei es zu einer Übereinkunft gekommen, dass sie an dem Spiel teilnehmen dürfen. Die brasilianische Regierung äußerte sich dazu nicht. Das brasilianische Gesundheitsministerium erklärte nur, «dass es die Empfehlungen der Anvisa, der für die Gesundheitsüberwachung im Lande zuständigen Behörde, unterstützt und anerkennt».

Die ersten diplomatischen Verwerfungen wurden von Präsidenten-Sohn und Senator Flavio Bolsonaro losgetreten, der die Argentinier in einem Tweet «Gauner» nannte. «Sie wussten, dass sie das brasilianische Gesetz umgehen», schrieb er und forderte: «Die Bundespolizei muss untersuchen, wer vor dem Spiel keine Maßnahmen ergriffen hat, und Argentinien sollte streng bestraft werden.» In einem weiteren Tweet ließ er – auf Spanisch – die ultimative Provokation an die südamerikanischen Rivalen los: «Pelé ist größer als Maradona! Brasilien fünfmal Weltmeister!»

Indes kann FIFA-Präsident Gianni Infantino noch keine Konsequenzen absehen. «Gestern Abend, jeder hat gesehen, was passiert ist im Spiel zwischen Brasilien und Argentinien – den beiden glorreichsten südamerikanischen Teams. Einige Offizielle, die Polizei, Sicherheitskräfte haben den Rasen nach ein paar Spielminuten betreten und Spieler vom Platz geführt», sagte der Schweizer während einer aufgezeichneten Rede bei der Generalversammlung der Europäischen Club-Vereinigung ECA in Genf. «Das ist verrückt. Aber wir müssen mit diesen Herausforderungen umgehen, die on top kommen auf die Corona-Krise.»

Von Martina Farmbauer und Ulrike John, dpa