Gezeichnet, aber glücklich stand Anna-Maria Wagner in den Katakomben des ehrwürdigen Judo-Tempels Nippon Budokan. Der Schweiß rann ihr über das Gesicht, als die Weltmeisterin einen Einblick in ihre Gefühlswelt gewährte.
«Natürlich wäre ich gerne für Gold gekommen. Aber am Ende des Tages bin ich so stolz, mit der Bronzemedaille nach Hause zu fahren», sagte Wagner nach ihrem Sieg über Kaliema Antomarchi aus Kuba in einem der kleinen Finals der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm.
Nur eineinhalb Monate nach ihrem Coup bei der WM schaffte die Ravensburgerin auch bei Olympia den Sprung aufs Podest. Nicht ganz nach oben. Aber endgültig in «die absolute Weltspitze», wie der Sportdirektor des Deutschen Judo-Bundes (DJB), Hartmut Paulat, betonte. «Unbeschreiblich» sei dieses Jahr für sie, sagte Wagner selbst. Immerhin hat sie auch schon die Grand Slams in Tel Aviv und Kasan gewonnen. Und dieser dritte Platz bei Olympia sei ihr nun sogar «ein bisschen mehr wert» als der WM-Triumph in Budapest.
Medaille im Judo-Land schlechthin
«Diese Medaille bedeutet so viel», sagte Wagner. Gerade in Japan, «dem Judo-Land schlechthin», habe sie «besondere Bedeutung», so die 25-Jährige. «Es war ein hartes Jahr mit der Verlegung der Spiele und allem.» Weil Olympia nur alle vier Jahre stattfindet und für viele Teilnehmer ein «Kindheitstraum» ist, sei es schwierig, «genau an dem Tag X, an dem es darauf ankommt, wirklich abzuliefern». Doch Wagner lieferte ab. Bis zum Halbfinale gegen die spätere Olympiasiegerin Shori Hamada aus Japan. Und auch danach im Bronze-Kampf wieder.
Nach Siegen über die Portugiesin Patricia Sampaio und die bereits mit mehreren WM- und Olympia-Medaillen dekorierte Mayra Aguiar aus Brasilien hatte Wagner gegen Hamada eine schmerzhafte Niederlage kassiert. Die Japanerin verpasste der Deutschen einen Hebelgriff und beendete ihren Gold-Traum, worauf diese in der kurzen Pause vor dem kleinen Finale erstmal «klarkommen» musste. Fest entschlossen kehrte sie dann aber zurück auf die Matte. «Meine Medaille» rief sie sich auf dem Weg dorthin selbst zu – und holte sie sich durch Waza-ari.
Die Überzeugung, Edelmetall holen zu können, sei bei ihr im Vorfeld der Spiele «supergroß» gewesen, sagte Wagner. «Ich bin vom Kopf her relativ cool hergefahren», erklärte sie. Den Hype um das Mega-Event habe sie gut ausblenden können. Auch Sportdirektor Paulat stellte fest, dass bei seiner Athletin durch den WM-Erfolg im Juni «endgültig der Knoten geplatzt ist, so dass sie innerlich nun mehr von sich überzeugt ist». Technisch sei die Studentin schon lange extrem stark, so Paulat. «Gerade im letzten Jahr hat sie sich aber auch physisch noch mal extrem verbessert.» Und mental offensichtlich ebenfalls.
Wagners beeindruckende Bilanz
Die einzige Frau, die olympisches Judo-Gold für Deutschland gewinnen konnte, bleibt zwar vorerst Yvonne Bönisch, die 2004 in Athen triumphierte. Wagners beeindruckende Bilanz im laufenden Jahr dürfte den Verantwortlichen des DJB mit Blick auf die Zukunft aber durchaus Mut machen. Und nicht nur die. Der zweite Starter am Donnerstag, Karl-Richard Frey (Klasse bis 100 Kilogramm), verlor zwar erst im Viertelfinale und dann auch in der Hoffnungsrunde. Am Mittwoch hatte Eduard Trippel (bis 90 Kilogramm) mit Silber aber die erste deutsche Judo-Medaille in Tokio geholt. Die Ausbeute von Rio, wo es 2016 nur einmal Bronze durch Laura Vargas Koch gab, ist also schon überboten.
«Wir hatten eine super Vorbereitung und haben es geschafft, vom Kopf her punktgenau da zu sein», sagte Wagner. «Wir sind ein cooles Team». Das habe ihr mit seinen lauten Anfeuerungsrufen auch trotz fehlender Zuschauer «ein Hallenfeeling» gegeben. Nach den Spielen brauche sie erstmal eine Pause und wolle «die Medaillen genießen». Dann peilt sie aber den nächsten Olympia-Zyklus an. Und die nächsten großen Würfe.
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