22. November 2024

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«Habe alles probiert»: Aus für Tischtennis-Star Boll

Sechster Olympia-Start, fünftes Achtelfinal-Aus: Rekord-Europameister Timo Boll wird auch bei den Spielen in Tokio keine Medaille im Einzel gewinnen. Eine Teilnahme 2024 in Paris schließt er nicht aus.

Timo Boll blickte zur Hallendecke und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Mehr als den Ansatz eines Kopfschüttelns ließ Deutschlands Tischtennis-Star nicht erkennen.

Es war zwar erst der Punkt zum 3:6 im fünften Satz dieses olympischen Achtelfinals, als seine Vorhand ein paar Millimeter zu lang geriet. Doch spätestens jetzt schien auch der 40 Jahre alte Ausnahmespieler realisiert zu haben, dass er diesen Kontrahenten an diesem Tag nicht mehr schlagen würde. «Manchmal muss man dem Gegner einfach gratulieren», sagte Boll später, als er sich, seine schwarze Tasche auf Rollen hinter sich herziehend, aus dem Tokyo Metropolitan Gymnasium verabschiedete.

Bolls sechste Olympische Spiele

Der Rekord-Europameister war wieder einmal früh bei Olympia gescheitert. Dem Südkoreaner Youngsik Jeoung musste er sich in 1:4 Sätzen (8:11, 11:7, 7:11, 9:11, 4:11) beugen. Bolls Nationalteamkollege Dimitrij Ovtcharov und bei den Damen Han Ying dagegen erreichten mit je zwei Siegen an einem Tag das Viertelfinale.

Diese außergewöhnlichen und vermutlich einmaligen Sommerspiele in Zeiten der Corona-Pandemie sind Bolls sechste. Die Niederlage gegen den 29 Jahre alten Jeoung war gleichbedeutend mit dem fünften Achtelfinal-Aus im Einzel nach 2000, 2008, 2012 und 2016. Als bestes Olympia-Ergebnis steht das Viertelfinale 2004 in seiner Vita.

Doch Timo Boll wäre nicht Timo Boll, wenn er geflucht oder gehadert hätte. Wenn er Ausreden gesucht oder auf seine jüngste Hüftverletzung verwiesen hätte. Mit bewundernswerter Ruhe, Analysefähigkeit und vor allem sportlicher Fairness absolvierte der Fahnenträger der Olympia-Eröffnungsfeier von 2016 in Rio Interview um Interview. Er zollte seinem Bezwinger den Respekt, den dieser verdient hatte.

Erneut keine olympische Medaille im Einzel

Natürlich hatte sich Boll so viel vorgenommen. Auch nach knapp 20 Jahren an der Weltspitze seines Sports sind Olympische Spiele für ihn – gerade in Asien, wo er geliebt und verehrt wird – etwas Außergewöhnliches. Natürlich wollte er nach acht EM-Titeln, zwei World-Cup-Siegen und dem viermaligen Erobern der Spitze der Weltrangliste endlich, endlich eine olympische Medaille im Einzel.

Doch dass er überhaupt noch einmal an den Tischen stehen durfte, war noch vor einem Jahr keineswegs gesichert. Wegen Rückenproblemen musste er 2020 sogar um die Fortsetzung seiner Laufbahn bangen, stellte sich die Fragen nach dem Rücktritt und dem richtigen Zeitpunkt dafür. «Ich habe weiter Spaß an dem Sport», beteuerte Boll aber jetzt wieder. Selbst das heutige Spiel habe ihm Spaß gemacht.

Genau wegen dieser Leidenschaft für seine Sportart überwog bei Boll auch nicht der Frust, sondern die Lust. Die Lust auf einen erneuten Angriff mit der Mannschaft auf olympisches Edelmetall – und sogar auf Gedankenspiele an ein siebtes Olympia. 2024 in Paris wäre Boll 43 Jahre alt. «Wenn ich immer noch in der Form bin, um zum Team zu gehören, warum nicht? Aber es ist auch noch lange hin», sagte er.

Hoffnung liegt auf dem Team-Wettbewerb

Bei der Frage nach seiner etwas näherliegenden Zukunft musste Boll dann sogar herzhaft lachen. «Wann geht es überhaupt weiter?», entgegnete er, als es um seinen Zeitvertreib bis zum Team-Wettbewerb am Sonntag ging. «Wir können eh nicht viel machen. Die Themen in unserer WG werden sicher nicht intellektueller, das Gejammer wird größer. Aber wir werden uns alle zusammenreißen», sagte Boll.

Und fügte den Satz an, der einerseits Hoffnung macht für den Teamwettkampf, andererseits auch den Sportsgeist dieses Athleten zeigt, der 2008 (Silber), 2012 (Bronze) und 2016 (Bronze) Medaillen mit dem Team holte. «Es war ja meistens so, dass ich eine Enttäuschung wegstecken musste. Und danach lief es gut im Mannschaftswettbewerb», sagte Boll. «Das hat man im Hinterkopf.»

Von Wolfgang Müller, Manuel Schwarz und Sebastian Stiekel, dpa