28. November 2024

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Einsame Tränen im Auto: Das Tour-Trauma der Franzosen

Auch am Nationalfeiertag hat es nicht geklappt. Die Franzosen warteten wieder einmal vergeblich auf einen Etappensieg eines Landsmanns. In der Gesamtwertung sind die Profis der Grande Nation chancenlos.

Die englischen Fußballfans müssen nach dem verlorenen EM-Finale und nun schon 55 Jahren Schmerz weiter leiden, die Franzosen haben mit ihrem Nationalheiligtum ähnlichen Kummer.

Bereits 36 Jahre ist es her, dass in Bernard Hinault einer der Ihren die Tour de France gewonnen hat. Und die so stolze Grande Nation muss sich wohl noch viele weitere Jahre gedulden, sagt ausgerechnet der bisher letzte Sieger.

«Von der aktuellen Generation wird kein Franzose die Tour gewinnen. Es mag hart und gemein sein, das zu sagen, aber wir müssen ehrlich sein. Sie sind nicht die Besten in den Bergen, und sie sind nicht die Besten im Zeitfahren», sagte Hinault. Und das vernichtende Urteil des kernigen Bretonen aus Yffiniac – inzwischen 66 Jahre alt – trifft perfekt die Realität. Vor der letzten Bergetappe befand sich Guillaume Martin als einziger Franzose in den Top Ten.

Martin als kleiner Hoffnungsschimmer

Der Teamkollege des Berliners Simon Geschke hatte zuvor immerhin für leichte Hoffnungen auf eine Podiumsplatzierung in Paris gesorgt, als er auf einer Ausreißeretappe einen Sprung auf Platz zwei des Gesamtklassements gemacht hatte. Doch der studierte Philosoph patzte schon am folgenden Tag und verlor ausgerechnet in einer Abfahrt den Anschluss an die Favoritengruppe. Aus der Traum.

Den eigentlichen Hoffnungsträger hatte es bereits in der Provence erwischt. David Gaudu, der mit seinen 1,73 Metern und der schwarz umrandeten Brille optisch an Harry Potter erinnert, stoppten auf der Ventoux-Etappe heftige Magenprobleme. Gaudu hofft nun auf einen Etappensieg, auf der Königsetappe in den Pyrenäen kämpfte er sich auf Platz vier.

Pinot fehlt verletzt

Frankreichs eigentlicher Liebling und auch tragische Figur ist in diesem Jahr gar nicht dabei. Thibaut Pinot gehört in Top-Form zu den besten Bergfahrern der Welt, war 2014 mal Dritter bei der Tour. Und 2019, so schien es, sollte das Jahr der Erlösung sein. Pinot war in den Bergen klar der beste Fahrer, wurde dann jedoch von einer Oberschenkelverletzung gebremst und stieg tränenreich vom Rad.

Noch ist Pinots Zeit nicht vorbei, schließlich ist der Profi erst 31 Jahre alt. Doch in diesem Jahr fehlt er wieder verletzt und nutzt die Zeit zur Reflexion. Der Zeitung «Le Parisien» gab Pinot kürzlich ein beeindruckendes Interview, in dem er über all den Druck, all die Dramen und all die Leiden redete, die ihm der Radsport und auch die Erwartungshaltung seiner Landsleute bereitet haben.

«Ich bin so oft allein in meinem Auto ausgeflippt», berichtete Pinot über seine Zeit in der Reha nach seinem Sturz auf der ersten Tour-Etappe im vergangenen Jahr. «Da gab es diesen einen Tag auf der Ringstraße von Paris, da bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich hielt es einfach nicht mehr aus.»

Pinots Karriere gleicht einer Achterbahnfahrt. «Ich hatte hohe Höhen und tiefe Tiefen. Aber nie lauwarme Sachen», erzählte der Kapitän des Teams FDJ. Und trotzdem hat er seine Motivation nicht verloren, will zurück aufs Rad und zur Tour. «Der Radsport hat mir ein Leben gegeben, von dem ich nicht zu träumen gewagt hätte. Ich werde mich nicht beschweren, denn ich will nicht undankbar sein.»

Hoffnung auf Pinot-Rückkehr

Kehrt Pinot zurück, werden ihm die Tour-Organisatoren mit der Streckenführung sicherlich entgegenkommen wie 2019 mit der sehr berglastigen Rundfahrt. In diesem Jahr wäre die Streckenführung eigentlich etwas für Julian Alaphilippe gewesen. Hügelige Zeitfahren und nur drei Bergankünfte – besser konnte man es für den Weltmeister kaum vorbereiten, ohne unfair zu werden.

Doch Alaphilippe kam etwas anderes dazwischen. Kurz vor der Tour wurde sein Sohn Nino geboren, der 29-Jährige war von seinem privaten Glück wohl etwas zu sehr abgelenkt. Doch wer weiß, vielleicht wird ja Nino eines Tages der Nachfolger von Hinault.

Von Tom Bachmann und Patrick Reichardt, dpa