23. November 2024

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Flick muss EM-Trends klug deuten

Liechtenstein, Armenien, Island: So lautet das Startprogramm von Hansi Flick im September. Der neue Bundestrainer muss zuvor eine gute EM-Analyse machen, um Deutschland wieder in die Weltspitze führen zu können.

Beim großen Finale von Wembley sind Deutschlands beste Fußballer anders als beim letzten EM-Triumph des DFB-Teams vor exakt 25 Jahren am selben Ort keine Hauptdarsteller.

Das Turnier-Aus gegen Englands Kicker, die in London gegen Italien um den Titel kämpfen dürfen, verdauen Kapitän Manuel Neuer und seine 25 Teamkollegen schon seit knapp zwei Wochen im Urlaub. Das Endspiel gibt es auch für den in DFB-Rente gegangenen Bundestrainer Joachim Löw allenfalls noch als persönliche Beobachter-Qual vorm TV-Gerät.

Ganz genau hingeschaut haben dürfte aber auch in der Endphase des kontinentalen Wettbewerbs Hansi Flick. Der neue Bundestrainer muss aus dem EM-Geschehen mit neuen Vorbildern wie Italien oder England, das im Achtelfinale zur Endstation fürs DFB-Team 2021 und Chef Löw wurde, die richtigen Schlüsse ziehen. Er muss die internationalen Trends erkennen und entsprechend deuten, um nach nun schon zwei vermurksten Turnieren mit Blickrichtung Weltmeisterschaft 2022 in Katar die notwendigen Maßnahmen und Schritte für eine Renaissance Deutschlands als gefürchtete Turnier-Mannschaft zu ergreifen.

Bierhoffs Ziel: «Zurück in die Weltspitze»

«Ich kann nicht damit zufrieden sein, dass wir Außenseiter sind», sagte Flicks Chef, DFB-Direktor Oliver Bierhoff, beim Blick in die Zukunft. Er erwartet, dass Fußball made by Hansi Flick nicht erst zur Heim-Europameisterschaft 2024 wieder konkurrenz- und titelfähig ist: «Ja, wir wollen zurück an die Weltspitze. Das ist unser erklärtes Ziel», formulierte der 53 Jahre alte Bierhoff deutlich.

53 Tage liegen zwischen dem EM-Ende und dem ersten Länderspiel unter der Leitung von Flick in der WM-Qualifikation am 2. September in St. Gallen gegen den Fußball-Zwerg Liechtenstein. Der bisherige Bayern-Coach hat während des Turniers beharrlich geschwiegen. «Meine Vorfreude ist riesig», hatte Flick zuvor bei der Unterschrift unter seinen DFB-Vertrag bis 2024 gesagt. Der 56-Jährige glaubt an das Potenzial, das in Anführern wie Joshua Kimmich und Leon Goretzka oder Youngstern wie Jamal Musiala (18) steckt. «Ich sehe die Klasse der Spieler, gerade auch der jungen Spieler in Deutschland», sagte er.

Flick muss EM aufarbeiten

«Ich bin mit mir selber im Reinen», sagte wiederum Löw zum Abschied am Tag nach dem 0:2 gegen England. Danach verschwand der 61-Jährige von der Bildfläche. Löw überlässt die EM-Aufarbeitung exklusiv seinem Nachfolger. «Hansi hat seine eigenen Vorstellungen. Er wird vom ersten Tag an seine Gedanken, seine Ideen einbringen», sagte Löw. Bierhoff kündigte eine Zäsur an: «Hansi wird die Mannschaft nicht neu erfinden, aber er wird vieles anders machen.»

Das ist auch zwingend erforderlich. In EM-Teamstatistiken belegte das DFB-Team vor dem Endspiel mit den im Halbfinale gescheiterten Spaniern die Spitzenplätze bei Ballbesitz und Passgenauigkeit. Aber das deutsche Spiel litt an Tempo, Esprit, an Gefahr im Strafraum.

Besonders auffällig ist: Erfolgreich waren Mannschaften, die von Nationaltrainern wie Englands Gareth Southgate, Italiens Roberto Mancini, Spaniens Luis Enrique oder Dänemarks Kasper Hjulmand quasi wie Vereinsteams über eine längere Zeit hinweg entwickelt wurden.

Welches System wählt Flick?

Ein roter Faden ist nötig: Löw unterbrach kurz vorm Turnier den Umbruch und baute stattdessen auf eine Hauruck-Aktion mit der unnötig spät vollzogenen Rückkehr der von zwei Jahre zuvor ausgemusterten 2014-Weltmeister Thomas Müller und Mats Hummels sowie einem gewagten System-Wechsel hin zur Dreierkette in der Turniervorbereitung. Müller erklärte den Versuch nach dem Achtelfinal-K.o. für «gescheitert».

Flick muss kurzfristig in den noch sieben Länderspielen 2021 das WM-Ticket lösen. Aber er muss vor allem einen klaren personellen Kurs fahren. Seine Lieblingssysteme sind das 4-2-3-1 oder 4-3-3. Sie haben sich beim Gewinn von sieben Vereins-Titeln mit dem FC Bayern bewährt.

Das Münchner Duo Kimmich/Goretzka bietet sich nach dem Rücktritt von Toni Kroos als logisches neues Kraftzentrum im Mittelfeld an. Wie zu hören ist, soll Champions-League-Sieger Kai Havertz (22) der Fixpunkt in der Offensive werden. Löw wechselte Havertz zum Beispiel aus, als dieser gegen Ungarn gerade ein Tor erzielt hatte – einer von einigen Coaching-Fehlern. Flick hätte sich den Ex-Leverkusener Havertz schon während seiner Bayern-Zeit als Spieler gewünscht. Genauso wie Stürmer Timo Werner, der beim neuen Coach wieder wichtiger werden könnte.

Personalie Mats Hummels

Dass Flick aus München Danny Röhl als Co-Trainer mitbringt, ist ein Hinweis dafür, dass viele Bayern-Erfahrungen ins DFB-Team einfließen sollen. Das könnte für einige Spieler positiv sein, für andere problematisch. Flick setzt – gerade fürs Pressing – auf eine sehr hochstehende Abwehrkette. Das erfordert schnelle Innenverteidiger und spricht nicht gerade für eine DFB-Zukunft von Hummels (32).

Eine Aufklärung zu Hummels, Müller oder Ilkay Gündogan könnte noch dauern. Flick will erst in einigen Wochen seine Vorstellungen als Bundestrainer skizzieren. Und nach dem Bundesligastart Mitte August muss er dann sein erstes Aufgebot für die drei Quali-Partien gegen Liechtenstein, Tabellenführer Armenien und Island benennen.

Von Klaus Bergmann, dpa