Nils Politt schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, formte mit seinen Händen ein Herz und brüllte bei der Fahrt über die Ziellinie die ganze Freude heraus.
«Das ist ein Traum, eine Tour-Etappe zu gewinnen. Das ist der größte Sieg, den man holen kann», sagte der 27-Jährige, nachdem er am Donnerstag mit einem Tagessieg bei der 108. Tour de France seinen bislang größten Coup in seiner Karriere vollbracht hatte. Im Zielbereich konnte es Politt noch immer nicht fassen, hob ungläubig sein Rad in die Luft und ließ sich von seinem «sehr guten Freund» André Greipel feiern.
Entscheidende Attacke sitzt
Die deutsche Misere bei der Frankreich-Rundfahrt ist damit beendet, Politt holte den ersten Sieg seit Lennard Kämnas furiosem Solo im Vorjahr. «Nils hat es hervorragend gemacht», lobte sein Sportlicher Leiter Enrico Poitschke. Aus einer Ausreißergruppe düpierte der Bora-hansgrohe-Profi alle Mitstreiter und fuhr zwölf Kilometer vor dem Ziel dem übrigen Rest davon. «Dass es nun ein Sieg wurde, ist unglaublich», sagte der euphorisierte Politt, dessen bislang größter Erfolg ein zweiter Platz beim Klassiker Paris-Roubaix war.
Dabei hatte Politt seine eigenen Chancen vor dem Start noch kleingeredet, erwartet wurde ein erneuter Triumph von Rekordjäger Mark Cavendish. «Heute und morgen wären gute Chancen für Ausreißer. Der Wind macht da einen Strich durch die Rechnung, es wird ziemlich nervös. Dann ist es nichts für die Ausreißer», sagte er vor dem Start der Etappe, die von der Provence bis fast ans Mittelmeer führte. Doch es kam ganz anders. Der Mut und die Antritte des nimmermüden Deutschen wurden am Ende belohnt. «Radsport ist meine Leidenschaft.»
Greipel: «Sehr emotional»
Greipel, auch lange in der Gruppe der Ausreißer vertreten, konnte beim hektischen Finale am Ende nicht mehr mithalten. «Es ist sehr emotional, wenn dein Trainingskollege eine Etappe gewinnt.», sagte der 38-Jährige. Als Politt davonzog, stand für «Gorilla» Greipel sofort fest: «Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nicht jagen werde.» Er erzählte, dass er Politt als Kind Trainingsklamotten für den Winter geschenkt habe. Am Donnerstag strahlte Politt wieder wie ein Kind, diesmal auf dem Siegerpodest mit Blumen und Medaille.
Durchatmen konnte dagegen die belgische Radsport-Legende Eddy Merckx. Sein Uralt-Rekord von 34 Etappensiegen beim größten Radrennen der Welt bleibt vorerst bestehen, denn für den britischen Routinier Cavendish (33 Erfolge) ergab sich auf dem Weg nach Nimes – anders als 2008 – keine weitere Chance zum Sieg. Weil in der Ausreißergruppe neben Frankreichs Weltmeister Julian Alaphilippe (Teamkollege von Cavendish) viele weitere Teams vertreten waren, wurde auf Nachführarbeit verzichtet. Der Vorsprung der Gruppe wuchs und wuchs, Politt düpierte am Ende die Konkurrenz.
Schon auf den 219,9 Kilometern von Nimes nach Carcassonne hat «King Cav» am Freitag aber die nächste Chance. Das Profil ist flach und Deceuninck-Quick-Step dürfte vor der bevorstehenden Pyrenäen-Qual alles dafür tun, ein weiteres Massenfinale für den bisherigen Sprinterkönig Cavendish herbeizuführen. Dieser hatte überraschend schon drei Tagessiege für sich verbucht.
Sagan steigt aus
Gelingt dies, hätte der schnelle Radprofi von der Isle of Man im Finale auch einen Konkurrenten weniger. Denn Peter Sagan, dreimal Weltmeister und Rekordgewinner des Grünen Trikots, ist am Donnerstag aus dem Rennen ausgestiegen. «Es ist eine schwere Entscheidung. Mein Knie ist wieder geschwollen und ich kann mein Bein nicht anwinkeln. Wenn man sein Bein nicht bewegen kann, bringt es gar nichts», sagte der Mann vom Team Bora-hansgrohe. Für das Team gab es mehrere Stunden später immerhin einen Trost, als Politt allen davongerast war. Man habe nach Sagans Aus auch ein wenig die Taktik geändert, verriet der Etappensieger.
Das erzwungene Aus wird den Slowaken schmerzen, doch körperlich hat es ihn nicht ganz so heftig erwischt wie den deutschen Routinier Tony Martin. Dieser war am Mittwoch ausgestiegen und schilderte nun der «Bild» erstmals sein körperliches Befinden: «Die Narbe von meiner Ellenbogen-Verletzung ist aufgeplatzt, das Schlüsselbein ebenfalls. Zum Glück ist das nicht gebrochen. Und das Knie war auch blutig.» Der Cottbuser mit dem Spitznamen «Panzerwagen» hat zudem lockere Zähne und ist mit 15 Stichen genäht worden. Er hofft dennoch, schon bald wieder auf dem Rad sitzen zu können.
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