27. November 2024

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Die heikle Zuschauerfrage: EM-Höhepunkte im Hotspot Wembley

Jubeln ohne Maske, feiern ohne Abstand und das in Massen. Bei den drei verbliebenen EM-Spielen werden mindestens 60.000 Zuschauer im Wembley-Stadion - zum Entsetzen vieler.

Rund 60.000 Fans bei den Halbfinals und im Finale im Wembley-Stadion, Riesen-Party im Corona-Hotspot London rund um das England-Spiel – und das in einer kritischen Pandemie-Phase auf der Insel.

Das bevorstehende Schlussszenario bei der Fußball-Europameisterschaft löst insbesondere in Deutschland großes Unbehagen und massive Kritik aus. Und auch die Befürchtung, dass das paneuropäische Turnier zum Super-Spreader gerät, wächst weiter.

Die viel gescholtene Europäische Fußball-Union hat für die Partien Italien – Spanien am Dienstag und England – Dänemark am Mittwoch (jeweils 21.00 Uhr) und für das Finale 75 Prozent der Zuschauerkapazitäten freigegeben. Das England-Spiel ist natürlich ausverkauft.

Fans aus dem Ausland profitieren kaum

Die restriktiven internationalen Reiseregelungen, nach denen fast alle europäischen Länder britische Staatsbürger bei der Einreise in eine längere Quarantäne schicken und dies in Großbritannien mit Einreisenden ebenso gehandhabt wird, reduzieren lediglich die Fans aus dem Ausland. Beim Achtelfinal-Sieg Englands gegen Deutschland waren nur 2000 gegnerische Anhänger mit Wohnsitz in Großbritannien zugelassen.

Vielen Dänen passt so eine Regelung gar nicht. Nach derzeitigem Stand können nur im Vereinigten Königreich lebende Dänen Karten erwerben – nämlich etwa 6000. Im Land des Halbfinalisten und Überraschungsteams wächst der Druck auf die Regierung, damit mehr dabei sein können. Mehrere Parteien forderten Ministerpräsidentin Mette Frederiksen auf, sich auf die Seite der dänischen Anhänger zu schlagen.

Die Boulevardzeitung «Ekstra Bladet» kritisierte, dass sich Frederiksen und Außenminister Jeppe Kofod nicht zu der Situation zu Wort meldeten. «Die Leute hier sind geimpft, getestet und bereit, da hinüber zu schwimmen», schrieb die Zeitung.

Hintergrund

In Großbritannien steigen die Infektionszahlen seit Wochen wieder stark an. Die Sieben-Tage-Inzidenz wurde zuletzt mit 214 angegeben (Stand: 29. Juni). Allein am Sonntag waren mehr als 24.000 Neuinfektionen registriert worden. Zurückgeführt wird das auf die Delta-Variante, die mehr als 90 Prozent der Fälle ausmacht. Der britische Premierminister Boris Johnson will trotzdem die verbliebenen Corona-Maßnahmen wie Abstandsregeln, Maskenpflicht und Home-Office bis zum 19. Juli weitgehend aufheben. Das kündigte Johnson am Montag an. Dann können die Engländer wieder im voll besetzten Theater sitzen, riesige Feste feiern und sogar die Nacht im vollen Club durchtanzen.

Harte Kritik

«Das ist ein furchtbarer Plan», twitterte dazu Christina Pagel vom University College London, die auch in einem Beratungsgremium der Regierung sitzt. «Es sieht so aus, als würden wir das einzige Land, das alles gegen die Wand der Impfstoffe wirft und hofft, dass diese standhält.» Inzwischen sind 86 Prozent der Erwachsenen in Großbritannien mindestens einmal geimpft. Knapp 64 Prozent der über 18-Jährigen haben bereits beide Impfungen.

Die UEFA hat sich längst auf die Position zurückgezogen, sie halte sich an die von den Regierungen und Gesundheitsbehörden der jeweiligen Länder erlassenen Bestimmungen im Umgang mit der Pandemie. Der Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach hatte schon angesichts der 45.000 Fans bei England – Deutschland im Wembley-Stadion kritisiert, «wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien», und prophezeite: «Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende. Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich.» Für «absolut verantwortungslos» hält Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Position des Dachverbandes.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ auf ihrer Abschiedstour in England am Freitag keinen Zweifel daran, dass sie ebenfalls kein Fan von Boris Johnsons Spiel mit dem Risiko ist. «Die britische Regierung wird ihre Entscheidungen treffen», sagte sie. «Aber ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist und nicht ein bisschen viel.»

CDU-Chef Armin Laschet hätte sich für die Zuschauerzulassungen bei der Fußball-Europameisterschaft «gemeinsame europäische Regeln gewünscht». Das sagte der Unionskanzlerkandidat in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). «Wir brauchen klare Regeln und Hygienekonzepte – die eingehalten werden müssen. Das gilt auch für die EM und die Zulassung in Fußballstadien, damit wir genau das verhindern, ein beschleunigtes Ausbreiten der Delta-Variante in Europa», so Laschet.

Der Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Hans Kluge, appellierte in der vergangenen Woche an alle Menschen, die nun Fußballspiele besuchen wollen oder eine Urlaubsreise planen, die Risiken genau abzuwägen und sich zu schützen. «Ja natürlich, wir sind eindeutig besorgt», sagte er mit Blick auf das Turnier.

Ebenso wie die EM gehört das Tennisturnier in Wimbledon zu mehreren Großveranstaltungen, bei denen in Großbritannien die Wiederzulassung von Zuschauern getestet wird. Ab dem Viertelfinale am Dienstag dürfen beim Tennis-Turnier in Wimbledon wieder alle Zuschauerkapazitäten auf dem Centre Court und dem Platz Nummer eins mit 14 979 beziehungsweise 12 345 Plätzen genutzt werden. Zum Formel-1-Rennen in Silverstone am 18. Juli sollen gar 140 000 Zuschauer zugelassen werden.

Von Ulrike John, Christoph Meyer und Steffen Trumpf, dpa