Die Spieler empfanden nach den Momenten tiefster Enttäuschung vor allem Riesenstolz, in der Heimat verneigten sich alle vor ihrer «Nati»: Die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft kann sich nach dem EM-Aus als Europameister der Herzen trösten.
«Bravo für die schöne Reise. Ihr habt uns zum Träumen gebracht», lobte Bundespräsident Guy Parmelin. Tennis-Superstar Roger Federer twitterte unter anderem auf Schwyzerdütsch: «Kopf hoch Jungs. Traum gsi mit euch die EM.»
Lobeshynen auf die «Nati»
Die Schweizer Zeitungen schrieben Lobeshymnen auf die Mannschaft, die den Fußball-Weltmeister Frankreich in einem Elfmeter-Drama aus dem Turnier beförderte und vier Tage später sich in Unterzahl erneut bis in die Entscheidung vom Punkt gegen den Titelmitfavoriten Spanien rettete. Dann aber das schlechtere Ende für sich hatte, auch weil der eingewechselte Augsburger Ruben Vargas den letzten Elfmeter der Schweizer über das Tor schoss.
Aber: keine Vorwürfe, stattdessen eine Huldigung vom Trainer, dass Vargas überhaupt mental so stark gewesen sei, zum letzten Elfmeter anzutreten. Vladimir Petkovic war dann auch einer der ersten, die den am Boden zerstörten und in Tränen aufgelösten Vargas drückten und versuchten zu trösten. «Unsere Herzen sind größer als elf Meter!», schrieb die Boulevardzeitung «Blick» am Samstag. Bei der Rückkehr am Flughafen in Zürich emfingen rund 500 Fans die Mannschaft und feierten sie.
Und es waren Kämpferherzen, die die Schweiz soweit gebracht haben. 1:3 zurückgelegen gegen Frankreich, 0:1 gegen Spanien. In Unterzahl am Freitagabend in St. Petersburg seit der 77. Minute. Ohne Kapitän Granit Xhaka von Beginn an (gelbgesperrt), ohne Breel Embolo nach gut 20 Minuten (verletzt), als die Mannschaft durch ein unglückliches Eigentor von Denis Zakaria bereits hinten lag. «Meine Spieler waren die Helden des Abends. Wir hätten es verdient gehabt, ins Halbfinale einzuziehen», betonte Petkovic.
«Mit purem Stolz und Freude erfüllt»
Diskussionen um Friseure und gefärbte Haare – passé. Nebenschauplätze – vergessen. «Diese Mannschaft hat ein ganzes Land mit purem Stolz und Freude erfüllt. Von jung bis alt, von links bis rechts. Für ein paar Stunden gab es in dieser Woche nur noch Nati-Euphorie», hieß es bei «20 Minuten». «Nichts hat die Eidgenossenschaft in jüngster Zeit derart aufgewühlt wie dieser größte Erfolg einer Schweizer Nati seit 67 Jahren», betonte der «Blick» nach dem ersten Viertelfinale einer Schweizer Mannschaft bei einer EM oder WM seit 1954.
«Die Leistungen in den vergangenen zwei Wochen sind das Beste, was der Schweizer Fußball seit Jahrzehnten erlebt hat. Sie haben die Mannschaft und die Bevölkerung zusammengebracht, wie das lange nicht mehr der Fall gewesen ist», schrieb der «Tages-Anzeiger». Eine Mannschaft schweißt eine Nation zusammen. «Keiner hat sich mehr gekümmert, wer welchen Hintergrund hat, wer Secondo ist oder ‚Schweizer-Schweizer‘, wie das Granit Xhaka einmal formuliert hat», ergänzte der «Tages-Anzeiger».
Petkovic-Zukunft offen
Wie es mit Trainer Petkovic weitergeht, ist offen. Zenit St. Petersburg soll Interesse haben. Auf eine entsprechende Nachfrage bekundete er nach dem EM-Aus nur, dass es sich um eine schöne Stadt handle. Fenerbahce Istanbul, ein weiterer potenzieller Interessent, habe einen Trainer. Und statt eines Bekenntnisses rettete sich Petkovic am Samstagmittag in einen Witz. «Ich habe immer gesagt, wenn jemand Beziehungen hat, kann er sich bei mir melden. Dann kriegt er meine Mailadresse und am Ende eine Provision», sagte er zu Journalisten: «Die einen kriegen 20 Prozent, die anderen weniger.»
Klar ist aber auch, dass diese Mannschaft – nicht nur bei Federer («Ich kann die Fußball-WM kaum erwarten.») – Hoffnungen geschürt hat, sich dauerhaft in den oberen Regionen des europäischen Fußballs zu etablieren. «Ich habe viele Nachrichten aus aller Welt bekommen. Wir werden besser und sympathischer wahrgenommen. Aber von diesem Punkt aus will man unbedingt weitere Schritte nach vorne machen», sagte Petkovic: «Diese Mannschaft hat das Potenzial, sich weiter zu verbessern.»
Viel hätte schon am Freitag nicht gefehlt, und erneut wäre Torhüter Yann Sommer von Borussia Mönchengladbach und nicht Spaniens Unai Simón der Held der Partie geworden. «Er hätte die Auszeichnung als wertvollster Spieler verdient gehabt», betonte Simón, der indes zum «Star of the Match» gekürt worden war. Und was sagte Sommer selbst: «Ich bin so stolz auf die Mannschaft, was wir hier erreicht haben, mit dem ganzen Land hinter uns.»
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