«Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen», so ein berühmtes Zitat. Das gilt auch für die diesjährige Fußball-Europameisterschaft der Männer.
Obwohl Programmierer und Statistiker mit ausgefeilten Methoden versuchen, in die Glaskugel zu schauen, lagen sie beim bisherigen Turnierverlauf nur zum Teil richtig. Denn der Zufall ist eine starke Macht, gegen die es schwer anzurechnen ist.
Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben einen Algorithmus zum EM-Ausgang programmiert und sahen die Mannschaften von Frankreich und England – letztere mit leichtem Vorteil – im Finale. Frankreich schied allerdings am Montagabend aus. England, das am Dienstag die deutsche Mannschaft im Achtelfinale bezwang, kann das Finale noch erreichen.
Viele Unwägbarkeiten
Bis dahin gibt es aber noch viele Unwägbarkeiten. «Ein blöder Abpraller vom Pfosten, ein unglückliches Eigentor – es sind eben die Zufälle, die jede statistisch berechneten Wahrscheinlichkeiten konterkarieren können», sagt Alexandros Stamatakis, Professor für High Performance Computing am KIT und Forschungsgruppenleiter am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS). Zusammen mit Ben Bettisworth vom HITS hat er eine Software entwickelt. Damit versuchen sie den Verlauf von K.O.-Phasen während eines Fußballturniers vorherzusagen.
Problem dabei: «Fußballergebnisse während einer EM sind extrem schwer vorherzusagen, weil insgesamt wenige Tore fallen und viele auch durch Zufall entstehen», erklärt Stamatakis. «Die Spielstärke einer Mannschaft ist nicht unbedingt in Ergebnissen zu fassen.» Das habe man am Montag beim Achtelfinal-Spiel Frankreich gegen die Schweiz gesehen. «Frankreich war in allen Belangen stärker, aber der Zufall wollte es nicht.» Es kam zum Elfmeterschießen: Frankreich verlor mit 4:5. Einfacher sei es beispielsweise, die Bundesliga zu simulieren: Weil da eine Saison lang alle gegen alle spielen und Zufälle sich über die Saison hinweg herausmitteln, sagt Stamatakis.
Stamatakis und Bettisworth bauten auf Erkenntnisse von Forschern der Technischen Universitäten Dortmund und München sowie Statistik-Experten unter anderem der Uni Innsbruck auf. Diese hatten vor Turnierstart paarweise Gewinnwahrscheinlichkeiten errechnet und dafür unter anderem Spielstärken der Teams und Marktwert von Spielern kombiniert. Anschließend wurde die EM 100.000 Mal Spiel für Spiel durchsimuliert. Mit ähnlichem Ergebnis wie bei den KIT-Forschern: Europameister wird Frankreich. Für einen Turniersieg der deutschen Mannschaft gaben die Statistiker eine Wahrscheinlichkeit von 10,1 Prozent an.
Auf Datenbasis der Kollegen ermittelten Stamatakis und Bettisworth nun selbst die Gewinnwahrscheinlichkeiten bei der EM – dadurch, dass keine Simulationen notwendig waren, innerhalb von Mikrosekunden. «Weniger Rechenschritte waren nötig» sagt Stamatakis zu seinem Ansatz. «Außerdem konnten wir die Wahrscheinlichkeit exakt berechnen, statt sich ihr nur anzunähern.» Geholfen hat ihnen dabei ein Algorithmus aus der Bioinformatik, wie man ihn zur Erstellung von Stammbäumen verwendet – etwa denen von Coronaviren und inwieweit diese Viren verwandt sind.
Vielleicht tippen Tiere gar nicht so schlecht
Auch andere Experten beschäftigen sich mit Vorhersagen von Fußballspielen: So das Startup KickForm, für den der Physiker und Autor des Buches «Der perfekte Tipp», Andreas Heuer, den Algorithmus entwickelt hat. «Bisher liegt die Zahl der Tore pro EM-Spiel bei 2,8, das ist vergleichbar mit der Bundesliga», sagt Heuer, der an der Uni Münster lehrt. Der Beitrag des Zufalls sei daher vergleichbar und liege bei etwa 86 Prozent. Er rechnet unter anderem mit den sogenannten Elo-Zahlen, bei denen Mannschaften nach ihren Ergebnissen bewertet werden.
Im Finale sehen er und KickForm Belgien und England – und Belgien als künftigen Europameister. Volkswirte der Deka-Bank wiederum rechneten das schon ausgeschiedene Frankreich als Europameister aus, lagen aber zumindest mit der Achtelfinale-Prognose für das Spiel England gegen Deutschland richtig.
Wer am Ende Europameister wird? Vielleicht orakeln schlussendlich Tiere gar nicht mal so schlecht. Der inzwischen verstorbene Krake Paul aus Oberhausen zum Beispiel tippte bei der WM 2010 in Südafrika die sieben Spiele mit deutscher Beteiligung nebst Finale richtig. Bei der WM im Jahr 2018 versuchten unter anderem ein Dackel, ein Schneeleopard und eine Ziege ihr Glück. Oft müssen auch Elefanten als Orakel herhalten. Für die aktuelle EM ist Elefantendame Yashoda aus Hamburg sehr gefragt. Für Dienstagabend hatte sie per Rüssel allerdings einen Sieg der Deutschen vorausgesagt.
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