26. November 2024

Sport Express

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Von magischen Nächten bis wenig Euphorie: Die EM-Stimmung

Die paneuropäische Europameisterschaft sorgt für unterschiedliche Atmosphäre an den elf Standorten. Ein Überblick der Stimmung in den Stadien und den Städten.

Von der ursprünglichen Idee einer länderübergreifenden EM versprach sich der damalige UEFA-Präsident Michel Platini ein großes «Fußballfest» vor der Haustür in «fast ganz Europa».

Doch was ist unter Corona-Bedingungen von diesem Gedanken geblieben, wie ist die Stimmung an den elf Standorten des Kontinentalturniers? Die Reporterinnen und Reporter der Deutschen Presse-Agentur ziehen nach der Vorrunde Bilanz, wie die EM-Atmosphäre in den Stadien und Städten ist.

ROM: Drei Siege, 7:0-Tore – vor allem die begeisternden EM-Auftritte der italienischen Nationalmannschaft in der Vorrunde sorgten für euphorische Stimmung. Knapp 16.000 Zuschauer waren zu den Spielen in Rom zugelassen, voll ausgeschöpft wurde das Kontingent aber bei keiner der drei Partien. Die italienischen Fans feierten in Anlehnung an den WM-Song 1990 von Gianna Nannini dennoch magische Nächte («notti magiche»). Auch rund um das Stadion und auf den Straßen Roms war vor allem nach den Partien einiges los, Kontakt zu den Spielern suchten die Anhänger wann immer möglich vor dem Teamhotel.

Auch die Fans der Türkei und aus der Schweiz waren in Rom zahlenmäßig gut vertreten, jeweils rund 4000 Anhänger reisten in die Ewige Stadt und unterstützen ihre Teams im Stadio Olimpico laut hörbar. Aus Wales waren dagegen nur einige Hundert Fans dabei. Die internationalen Gäste sorgten rund um die Spiele auch tagsüber in der Innenstadt für gute Stimmung, feierten auf den Plätzen und bevölkerten die Cafés.

Abseits des Stadions machte sich die EM-Stimmung in der Stadt vor allem an den Spieltagen in Rom bemerkbar. Die große Fan Zone an der zentralen Piazza del Popolo füllte sich nur während der Partien der Italiener so richtig. Dazu trugen auch die zunächst noch geltenden Corona-Schutzmaßnahmen bei, die nach und nach gelockert wurden und noch weiter werden: Eine Maskenpflicht im Freien sowie die nächtliche Ausgangssperre, die eine Party nach dem Eröffnungsspiel verhinderte.

ST. PETERSBURG: In der russischen Zarenstadt waren bis zu 30.000 Fans im Stadion zugelassen, das Kontingent wurde aber bei keinem der sechs Vorrundenspiele vollständig ausgenutzt. Für herausragende Stimmung sorgten vor allem die Fans von Debütant Finnland, die in Stadt und Arena stark vertreten waren und sich auch von Niederlagen nicht die Laune und die Gesänge nehmen ließen. Auch die anderen Teams aus Polen, Belgien, Schweden und der Slowakei brachten ihre Fangruppen mit, die Beschränkungen bei Reisen ließen dies zu.

Überraschenderweise gab es in Russland sogar große Fanfeste, auf denen tausende Anhänger zugelassen waren. An der berühmten Blutskirche von St. Petersburg waren zunächst bis zu 5000 Fans möglich. Im Verlauf des Turniers wurden – auch aufgrund rasant steigender Infektionszahlen – die Maßnahmen schärfer. Im EM-Ort St. Petersburg durften fortan nur noch 3000 statt 5000 Menschen in die Fanzone, Bars und Kneipen mussten um 2 Uhr schließen. In Moskau musste die Fanmeile coronabedingt sogar ganz schließen.

Alles in allem war Russland weit weg von der herausragenden und euphorischen Stimmung, die bei der WM 2018 geherrscht hatte. Dies lag auch am durchwachsenen Abschneiden der russischen Mannschaft, die als eine der ersten ausschied. 2018 war der Viertelfinal-Einzug gegen Spanien noch ausgelassen bejubelt worden.

SEVILLA: Für manchen Merchandising-Artikel reichte es nicht mehr für den Aufdruck. Zu spät wurde die Stadt am Fluss Guadalquivir als Spielort bestimmt. Erst Ende April war klar: Spaniens Nationalmannschaft wird nicht in Bilbao ihre drei Gruppenspiele bestreiten. Die Verantwortlichen der baskischen Metropole konnten und wollten der UEFA keine Zuschauer-Garantie abgeben. Sevilla sprang ein, aber nicht mit einem der Stadien der beiden großen Clubs FC und Betis.

Das Estadio La Cartuja war einst für eine Olympia-Bewerbung gebaut worden, kein klassischer Fußball-Tempel und von außen auch kein unbedingter Hingucker in einer Stadt, die vor Sehenswürdigkeiten ansonsten strotzt. Der Rasen – nur bedingt grün. Und auch ansonsten musste und muss an einigen Stellen auch improvisiert werden, Zugänge über ein Baugerüst inklusive.

Etwas über 12.000 Zuschauer sind erlaubt, die tatsächliche Besucherzahl blieb aber bei allein drei Spanien-Spielen knapp drunter. Bemerkenswert aber: Alle trugen immer ihren Mund-Nasen-Schutz, der auch ansonsten Pflicht ist in Sevilla. Auch draußen im Freien.

EM-Stimmung kommt eigentlich nur am Spieltag auf oder am Abend vorher, wenn sich die spanischen Fans auf den größeren Plätzen treffen und die Gäste sich in der wunderschönen Altstadt bei Tapas und Cerveza auf das Spiel einstimmen. Nachdem rund 3000 Schweden da waren, nahmen die Zahlen bei den Fans aus Polen und dann der Slowakei noch mal ab. Mal sehen, wie die Stimmung wird, wenn Superstar Cristiano Ronaldo mit seinen Portugiesen am Montag zum Sevilla-Kehraus im Achtelfinale gegen Belgien antritt.

BAKU: Die Freude, EM-Spiele auszutragen, war den Einheimischen in der Stadt deutlich anzumerken – auch, wenn sie gerne mehr Gäste begrüßt hätten. Vor allem bei den beiden Spielen der türkischen Mannschaft verbreitete sich EM-Stimmung. Bars und Restaurants waren zum Teil mit Fahnen geschmückt, auf Fernsehern waren die Spiele bei prächtigem Wetter an der frischen Luft zu sehen. Ein großes Public Viewing fand coronabedingt nicht statt.

Im Stadion sorgten Einheimische und angereiste türkische Fans bei den beiden Spielen der Ay-Yıldızlılar für frenetische Stimmung – auch wenn die Marke von rund 30.000 zugelassenen Zuschauern nie erreicht wurde. Vor den Partien wurden aserbaidschanische und türkische Fahnen an die Zuschauer verteilt, da sich die beiden Länder sehr eng miteinander verbunden fühlen. Musikgruppen verbreiteten auf dem Weg ins Olympiastadion Festtags-Atmosphäre. Aus Wales und der Schweiz waren nur sehr wenige Anhänger nach Baku gereist. Für die Waliser wäre bei der Rückkehr in die Heimat eine Quarantäne fällig gewesen.

AMSTERDAM: Ohne die Coronavirus-Pandemie wäre Amsterdam sicher einer der stimmungsvollsten Orte der paneuropäischen EM geworden. Doch nun hält sich die Stimmung in der Grachtenstadt in Grenzen. Immerhin sorgten die guten Auftritte des Oranje-Teams dafür, dass sich die EM-Atmosphäre in den Niederlanden inzwischen deutlich verbessert hat. An den Spieltagen treffen sich viele der ganz in orange gekleideten Fans meist am Rembrandtplein im Herzen von Amsterdam. Auch rund um die Amsterdam Arena herrscht schon Stunden vor dem Anpfiff der Partien recht ausgelassene Stimmung.

Vergleichbar mit der EM 2000, als die Niederlande zusammen mit Belgien als Ausrichter fungierten, ist die Atmosphäre aber nicht. Was auch daran liegt, dass nur wenige ausländische Fans den Weg nach Amsterdam gefunden haben. Aus der Ukraine und Nordmazedonien waren nur rund 1000 Fans gekommen, die am Tag nach dem Spiel aber direkt wieder die Heimreise antraten. Die Österreicher waren mit einer etwas größeren Abordnung erschienen, blieben aber auch nicht lange. Wegen der Corona-Regeln finden Public Viewings nicht statt, auch in den Restaurants und Kneipen ist das gemeinsam Fußball gucken offiziell nicht gestattet.

KOPENHAGEN: Die dänische Hauptstadt ist DER Ort dieser EM. Mehr als 15.000 Zuschauer mussten beim ersten Spiel gegen Finnland mit ansehen, wie Dänemarks Spielmacher Christian Eriksen auf dem Rasen zusammenbrach und wiederbelebt wurde. Knapp 25.000 waren es bereits, als der Mannschaft gegen Belgien (1:2) eine warmherzige Rückkehr in das Parken Stadion bereitet wurde und als gegen Russland (4:1) doch noch der vielumjubelte Einzug ins Achtelfinale des Turniers gelang. Mehr Emotionen sind in nur drei Spielen nicht möglich.

Dass überhaupt so viele Zuschauer zugelassen wurden und dass Mannschaft und Fans nach dem Eriksen-Drama so eng zusammengerückt sind, hat in Dänemark eine EM-Stimmung erzeugt, wie sie selbst in Nicht-Pandemie-Zeiten nicht stärker hätte sein können. Seit dem sensationellen EM-Titel 1992 haben die Dänen mit keinem Nationalteam mehr so mitgefiebert wie mit dem aktuellen.

Auch dänische und belgische Fans reisten zu Hunderten nach Kopenhagen. Dort verteilten sich schon Stunden vor dem Anpfiff tausende Fans in der ganzen Innenstadt. Dänische Trikots gibt es dort kaum noch zu kaufen. Begünstigt wird diese Stimmung auch dadurch, dass es in Dänemark im Vergleich zu Deutschland kaum noch coronabedingte Einschränkungen gibt – und das trotz einer stärkeren Verbreitung des Virus. Bars und Restaurants haben auch drinnen geöffnet, die Maskenpflicht wurde aufgehoben. Voraussetzung für einen Stadion- oder Restaurant-Besuch: ein negativer Corona-Test.

GLASGOW: Die schottische Großstadt war am Spieltag in ein Fahnenmeer getaucht. Vom Morgen an bevölkerten Fans in schottischen Trikots, Kilts und mit umgebundenen Fahnen die Straßen und Pubs. Im Stadion Hampden Park herrschte bei den beiden schottischen Spielen schon vor Beginn eine gewaltige Stimmung. Obwohl nur rund ein Viertel der gut 50.000 Sitze belegt werden durfte, war die Atmosphäre ohrenbetäubend. Laut scholl die Nationalhymne «Flower of Scotland» durchs Rund, und beim einzigen Turniertor der Bravehearts – durch Callum McGregor zum zwischenzeitlichen 1:1 gegen Kroatien – wackelten die Tribünen. In den Pubs herrschte währenddessen Hochbetrieb.

Ansonsten war von echter EM-Stimmung aber wenig zu spüren. Zum Gruppenspiel zwischen Tschechien und Kroatien verloren sich deutlich weniger Fans im Stadion als zugelassen waren, die Stimmung blieb weitgehend mau. Das lag auch daran, dass nur wenige Fans der beteiligten Teams anwesend sein konnten. Denn die Einreise nach Großbritannien ist beschwerlich: Wer aus der EU ins Land kommt, muss sich für mindestens fünf Tage selbst isolieren und zwei teure PCR-Tests machen. Erst wenn beide negativ sind, darf das Quartier verlassen werden. Auch deshalb freute sich Kroatiens Trainer Zlatko Dalic über den Achtelfinal-Spielort Amsterdam: In der niederländischen Stadt erwarten die Feurigen Tausende Fans aus der Heimat.

LONDON: Schon vor dem Anpfiff der Gruppenspiele sorgten Fußballfans am Londoner Wembley-Stadion teilweise mit lauten Gesängen für Stimmung. 22.500 Zuschauer waren bei den Partien in Wembley erlaubt. Geschätzte 20.000, überwiegend England-Fans, waren dabei. Obwohl das nur knapp ein Viertel der Kapazität ist, klang es schon bei der Hymne «God Save The Queen» fast wie im vollen Stadion. Während England auf dem Platz gegen Kroatien, Schottland und Tschechien nicht vollends überzeugte, sangen die Zuschauer immer wieder «Football’s Coming Home».

Besonders laut wurde es in und um Wembley bei der Partie gegen den alten Rivalen und britischen Nachbarn Schottland. Schließlich war es das einzige Spiel, bei dem eine größere Anzahl Gästefans anwesend war. Die Tartan Army lieferte sich mit den Anhängern der Three Lions einen gesanglichen Schlagabtausch. Nach dem Spiel waren es allerdings nur noch die inzwischen ausgeschiedenen Schotten, die das 0:0 ausgelassen feierten, während von den Engländern auch Pfiffe und Buhrufe zu hören waren.

Echte EM-Atmosphäre wie bei früheren Turnieren kam in der britischen Hauptstadt bisher nicht auf. Pubs und Biergärten dürfen nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern bewirten. Für das traditionelle Fanfest auf dem Trafalgar Square, bei dem alle England-Spiele sowie die Halbfinals und das Endspiel auf der Großbildleinwand gezeigt werden, benötigt man in diesem Jahr eine Eintrittskarte. In der Gruppenphase wurden die kostenlosen Tickets an Hilfskräfte der Corona-Pandemie vergeben. Für die K.o.-Spiele werden sie verlost.

BUDAPEST: Corona – war da was? Jeweils rund 55.000 Fans waren bei den drei EM-Vorrundenspielen in der Puskas Arena. Die Bilder zeigten eine Welt, wie man sie vor der Pandemie kannte. Auf der Tribüne stand in den ersten beiden Partien ein zufriedener Ministerpräsident Viktor Orban, der der UEFA als einziger Ausrichter volle Zuschauerränge zugesichert hatte. Inländische Fans durften unter der Voraussetzung in die Arena, dass sie geimpft sind oder nachweislich eine Corona-Erkrankung überstanden haben.

Von einer unglaublichen Stimmung sprachen die ungarischen Nationalspieler, die dort zwei Partien bestritten. Man kann tatsächlich von Gänsehautatmosphäre sprechen – die allerdings teils in Schmähungen umschlug, als Kylian Mbappé mit Affenlauten von den Rängen rassistisch beschimpft wurde.

Und außerhalb des EM-Stadionorbits? Begeisterung herrschte nicht wie bei früheren Endrunden. Ein paar Plakate in der City, hier und da Einheimische oder Touristen mit den Trikots ihrer liebsten Nationalspieler – mehr nicht. Erst als die Fans der Franzosen anreisten, kam auch Lautstärke abseits der Spieltage in die Stadt.

BUKAREST: Dass die rumänische Hauptstadt neben Baku der einzige Standort ist, an dem kein Heimteam seine Spiele austrägt, bremst die EM-Stimmung keineswegs. Vor allem in der Altstadt herrscht so etwas wie Turnier-Normalität: Auf den Außenterrassen der zahlreichen Restaurants und Bars sitzen beim vergleichsweise günstigen Bier und Essen die Anhänger der Teams in großer Zahl. Zu späterer Stunde liefern sich die Gruppen in den Gassen auch Gesangsduelle. Die Einreisehürden sind gering. Corona ist weniger präsent als in Deutschland, Masken sind bei den Gästen zumindest seltener zu sehen.

Wie in der Stadt gaben während der Vorrunde auch in der weitläufigen Arena Nationala vor allem die ukrainischen und nordmazedonischen Fans den Ton an. Am Ende jubelte aber die kleinere Schar aus Österreich über das Weiterkommen ihres Teams, die Ukraine schaffte es zumindest in der Zuschauerrolle als Gruppendritter. In den bisherigen Spielen von Bukarest blieben allerdings einige der verfügbaren Plätze leer – hier besteht noch Steigerungspotenzial für das Achtelfinale zwischen Frankreich und der Schweiz.

MÜNCHEN: Von der Fußball-Euphorie früherer Großevents ist München weit entfernt – kein Wunder kurz nach den schwierigen Corona-Monaten und angesichts der vielen Warnungen und Einschränkungen in der Stadt. Große Biergarten-Partys waren nicht erlaubt, es kamen viel weniger ausländische Anhänger in die Stadt als etwa bei der WM 2006. Große Fan-Zusammenkünfte wurden von der Polizei aufgelöst, auch wenn das etwa nach dem DFB-Sieg über Portugal (4:2) nicht immer gelang und vor allem im Stadtteil Schwabing für Ärger bei den Anwohnern sorgte.

Im Stadion war in allen drei Partien, zu denen jeweils 14.500 Fans zugelassen waren, mächtig was los: Beim Start gegen Frankreich (0:1) krachte ein Greenpeace-Gleitschirmflieger auf das Feld und verletzte zwei Leute. Die Portugal-Partie war dann ein deutsches Fußball-Fest mit vier Toren und «Oh, wie ist das schön»-Gesängen von den Rängen. Und beim spät erzitterten 2:2 gegen Ungarn sorgte zunächst die große Regenbogen-Thematik, dann ein schweres Gewitter und schließlich das deutsche Happy End mit dem späten Ausgleichstreffer für Emotionen.

Bei aller Fußball-Begeisterung hoffen die Verantwortlichen weiter, dass sich die Partien und das Drumherum nicht auf die Entwicklung der Corona-Zahlen auswirken. Die Masken-Disziplin im Stadion gefiel der Politik zunächst gar nicht – später wurde es besser.

Von den dpa-Korrespondenten