23. November 2024

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Bereit für die Slowakei: Enrique kennt Extremsituationen

Er steht unter Druck. Er steht in der Kritik. Luis Enrique muss jetzt liefern. Die Fans sind längst unruhig. Ein Scheitern des Mitfavoriten dürfte auch die Zukunft von Enrique beeinflussen.

Manchmal steigt Luis Enrique auf ein Gerüst. Er will den Überblick haben. Dann ist auch klar erkennbar, wer der Trainer der spanischen Fußball-Nationalmannschaft ist.

Seine eigene Profizeit ist schon eine Weile her, vor 17 Jahren beendete er sie. Nach 61 Einsätzen für sein Land, nach zwölf Toren im Trikot der «Selección». Nach einem Europapokalsieg, nach drei spanischen Meistertiteln und drei Pokalerfolgen als Vereinsspieler.

Von seiner Heimat im Norden des Landes beim FC Gijon war er zu Real Madrid gewechselt, ehe es Enrique zum FC Barcelona zog. Allein das belegt schon: Vor Herausforderungen ist er noch nie zurückgewichen. Das war im Sommer 1996, Enrique war damals 26 Jahre alt.

«Ein Leader im Outfit des Arbeiters»

Heute ist er 51. Und wenn er nicht die Mannschaft beim Training von seiner Empore aus betrachtet, sondern mitten unter den Spielern steht, fällt vor allem eines auf: Luis Enrique Martínez García, wie er mit vollem Namen heißt, sieht so fit aus, dass er selbst noch mitmachen könnte. «Ansteckend und mitreißend, ein Leader im Outfit des Arbeiters und topfit», schrieb mal die «Neue Zürcher Zeitung», als Enrique den Posten des Nationaltrainers nach dem missglückten Auftritt der «Roja» bei der WM in Russland übernommen hatte.

Von den nachfolgenden sechs Spielen gewann Spanien vier, ehe Enrique sein Amt nach einem Jahr wieder zur Verfügung stellte. Es war etwas sehr privates, ein Grund, der schlimmer nicht sein konnte. Tochter Xana hatte Knochenkrebs. Sie schaffte es nicht. Sie starb im August 2019 mit gerade mal neun Jahren. «Du wirst der Stern sein, der unsere Familie leitet», veröffentlichte Enrique damals eine Nachricht bei Twitter. Fünf Monate hatte seine Tochter gegen den Krebs gekämpft.

Im November 2019 kehrte Enrique auf den Posten des Nationaltrainers zurück. Seinen einstigen Weggefährten Robert Moreno, der seinerseits Ansprüche anmeldete, weiter Trainer der Nationalmannschaft zu bleiben, sortierte er aus. Enrique warf ihm vor, illoyal zu sein und so einen wollte er nicht mehr im Trainerstab haben.

Ohne Real-Spieler zur EM

Konsequent ist sicher auch ein Prädikat, dass zu Enrique passt, dessen Vertrag mit dem spanischen Verband auch noch für die WM Ende kommenden Jahres in Katar gültig ist. Mediale Kritik schert ihn nicht besonders, er zieht sein gesamtes System so durch, wie er auch stets im 4-3-3 spielen lässt.

Enrique verzichtete bei seinem Kader für die EM nicht nur auf Rekordnationalspieler Sergio Ramos, der mit seinen 35 Jahren auch keine leichte Saison hinter sich hatte und oft verletzt war. Enrique nahm überhaupt keinen Spieler von Real Madrid mit. Ein Novum. Drei sind vom FC Barcelona dabei, den er 2015 als Trainer zum Triple-Triumph geführt hatte.

Mit dem Kader, den der «Mister» ausgewählt hat und mit dem er im EM-Quartier in Las Rozas de Madrid arbeitet, steht Enrique nun im vorerst sicher wichtigsten Spiel als Nationaltrainer schwer unter Druck in der Partie am Mittwoch (18.00 Uhr) in Sevilla gegen die Slowakei. «Kopf oder Zahl. Das ist die Realität», sagte Abwehrspieler César Azpilicueta vom Champions-League-Sieger FC Chelsea.

Nullnummer gegen Schweden, 1:1 gegen Polen. Dem Mit-Gastgeber droht schon wieder ein vorzeitiges Aus. «Gebrochenes Spanien», titelte am Montag «El Pais» und zählte von den Resultaten über die Kritik am Rasen in Sevilla und den Unmut der Fans die Konfliktpunkte des «miserablen» EM-Starts unter Enrique auf.

In Las Rozas wird dieser seine Mannschaft einen Tag vor dem Spiel zum Abschlusstraining am Morgen zusammenrufen, dann geht es nach Sevilla. Er wird sich wieder entschlossen und entschieden präsentieren. Einer wie er, der schon in Frankfurt den Ironman oder auch schon mal einen Wüsten-Marathon beendet hat, weiß, wie er mit Herausforderungen umzugehen hat. Ob er die spanische Mannschaft aber auch bis ins Ziel bringen wird, bleibt abzuwarten.

Von Jens Marx, dpa