Wer in den vergangenen Wochen Schlagzeilen über Belgien gelesen hat, dürfte an diesem Dauer-Mitfavoriten durchaus Zweifel anmelden.
Starspieler Kevin De Bruyne? Wurde im Champions-League-Finale ausgeknockt und unterzog sich anschließend einer Gesichtsoperation. Kapitän Eden Hazard? Hat beinahe chronisch körperliche Probleme und zwischen November 2019 und Juni 2021 kein einziges Länderspiel absolviert. Dortmunds Axel Witsel? Kehrt nach einer schweren Achillessehnenverletzung gerade erst zurück und steht im Kader, obwohl er monatelang keinen Fußballplatz betreten hat.
De Bruyne und Witsel fehlen
De Bruyne und Witsel reisten gar nicht erst mit zur EM-Auftaktpartie nach St. Petersburg und werden gegen Russland am Samstag (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) fehlen. Doch Personalsorgen hin oder her, der WM-Dritte von 2018 zählt wieder zum engsten Kreis der Favoriten. «Wir sind besser als 2018», kündigte Weltklasse-Stürmer Romelu Lukaku vor Turnierbeginn an. Vor drei Jahren bei der WM hatte das Team um den bulligen Lukaku und den technisch herausragenden De Bruyne unter anderem Rekordweltmeister Brasilien überrannt und war im Halbfinale nur nach einem Standard am späteren Champion Frankreich gescheitert.
Nationaltrainer Roberto Martínez aus Spanien hat enorm begnadetes Personal zur Verfügung. Lukaku ist einer der weltbesten Stoßstürmer, er ist dynamisch, durchsetzungsstark und eiskalt vor dem Tor. De Bruyne ist selbst in Manchester Citys Starensemble ein alles andere überstrahlender Protagonist, der vom zentralen Mittelfeld bis zur falschen Neun alle Positionen bekleiden kann.
Die Rückkehr des 28 Jahre alten Rotschopfs, der frühestens im zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark aufs Feld soll, wird bei den Red Devils besonders sehnsüchtig erwartet. Die Vorrundengruppe mit Russland, Dänemark und Finnland dürfte für Quali-Primus Belgien (zehn Siege, 40:3 Tore) normal kein großes Problem sein. Doch in den K.o.-Spielen baut Martínez stark auf seine Routiniers De Bruyne und Hazard.
Über De Bruyne sagte der Chefcoach jüngst, dieser habe «Weltfußballer-Niveau». Und auch Hazard, der sich nach seiner phänomenalen WM 2018 bei Real Madrid durchschleppt, attestiert der Chefcoach so exzellente Fähigkeiten, dass er seinen Kapitän nicht angetastet hat. «Was er in diesem Umfeld leistet, ist beeindruckend. Er kann in den nächsten Wochen zu seinem Top-Level zurückkommen», kündigte Martínez an.
Seit Jahren favorisiert
Es ist die vielgelobte «goldene Generation», die Belgiens Nationalelf noch immer prägt. Nach der misslungenen Heim-EM 2000 hatte der Verband damals eine mutige Neuausrichtung in den Strukturen und im Jugendbereich gewagt. Den Lohn gab es rund eineinhalb Jahrzehnte später mit einer Auswahl an herausragendem Personal, das zurecht bei WM und EM seit Jahren entweder als Mit- oder Geheimfavorit geadelt wird.
Seit der WM 2014 haben nur Belgien und Frankreich unter Europas Topteams verlässlich das Viertelfinale bei großen Turnieren erreicht. Der Unterschied ist: Frankreich hat den WM-Pokal, Belgien führt gerade mal die FIFA-Weltrangliste an. «Ich bin stolz auf Platz eins in der Weltrangliste. Aber ich wäre lieber Weltmeister und 20. in diesem Ranking», sagte Verteidiger Jan Vertonghen.
Neben den körperlichen Fragezeichen um das Star-Trio hat Belgien zwei weitere große Probleme: Die anfällige und überalterte Defensive um den 34 Jahre alten Vertonghen. Und die fehlende nächste Generation, die im 26-köpfigen EM-Kader deutlich sichtbar wird. Das 19 Jahre junge Sturmtalent Jérémy Doku ist der einzige Hoffnungsschimmer. Mittelfeldakteur Youri Tielemans und Flügelspieler Timothy Castagne werden zwar auch gerne zu dieser Riege gezählt, sind aber bereits 24 und 25. Sie dürften zwar in Belgiens Startelf stehen, der Fokus aber wird sich einmal mehr auf die Routiniers um Lukaku richten.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Belgien: 1 Courtois – 2 Alderweireld, 18 Denayer, 5 Vertonghen – 21 Castagne, 8 Tielemans, 19 Dendoncker, 11 Carrasco – 14 Mertens, 16 T. Hazard – 9 Lukaku
Russland: 1 Schunin – 2 Fernandes, 14 Dschikia, 5 Semenow, 18 Schirkow – 11 Sobnin, 7 Osdojew – 15 Mirantschuk, 23 Kusjajew, 17 Golowin – 22 Dsjuba
Schiedsrichter: Antonio Mateu Lahoz (Spanien)
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