Zu später Stunde herzte Stefan Kuntz bei der ausgelassenen Siegerparty im schicken Teamhotel in Ljubljana seine U21-Europameister noch einmal einzeln. Nach 2017 hat der Erfolgstrainer die nächste Generation deutscher Nachwuchsfußballer zur Titelkrönung geführt.
«Champions gehen ihren Weg bis zum Ende. Jetzt sind sie Champions», sagte Kuntz tief gerührt nach einem unerwarteten, aber umso emotionaleren Triumph. «Dieser Jahrgang ist sehr verdient Europameister geworden», hob Kuntz nach dem 1:0 im EM-Endspiel gegen Portugal hervor. Es war die Krönung einer bemerkenswerten Entwicklung – und auch eine weitere für ihn selbst.
Vom Außenseiter zum Champion
Bis spät in die Nacht feierten Kuntz und seine Jungs in der schicken Party-Location über den Dächern der Hauptstadt Sloweniens mit Familie und Freunden. «Wir stehen in den Geschichtsbüchern des DFB und das kann uns keiner wegnehmen», sagte Ridle Baku, der das Siegtor von Lukas Nmecha (49. Minute) perfekt vorbereitet hatte. Bei Kuntz mischten sich in einer Nacht großer Gefühle Stolz und Wehmut: «Im Moment ist eine extreme Nähe da zu den Spielern und sicherlich auch Wehmut, dass ich mich von vielen verabschieden muss. Die Jungs, die hier gespielt haben, waren was Besonderes.»
Anders als die goldene Generation um Manuel Neuer & Co. von 2009, die fünf Jahre später den WM-Titel eroberte, und die als Mitfavorit gestarteten Sieger von 2017 um Serge Gnabry kämpfte sich die aktuelle U21-Generation aus der Außenseiterrolle auf den Fußball-Thron. «Das war der Jahrgang, dem man von Anfang an am wenigsten zugetraut hat», urteilte Kuntz. Außenverteidiger David Raum sagte: «Wir wollten allen beweisen, dass der Transferwert nicht wichtig ist, sondern eine Einheit auf dem Platz.»
Ein Triumph der begeisterte
Auch die prominenten Titelvorgänger begeisterte der Triumph. «Das habt ihr super gemacht und euch verdient. Ihr wart die beste Mannschaft bei dem Turnier», sagte der 2009er Champion Neuer, der aus der EM-Vorbereitung mit der A-Nationalelf Glückwünsche schickte. Mit ihren erfrischenden Auftritten dürfte die U21 auch vor dem EM-Auftakt für die Elf von Bundestrainer Joachim Löw am 15. Juni gegen Weltmeister Frankreich die Vorfreude gesteigert haben. «Ich glaube, wir konnten Deutschland heute stolz machen», sagte Raum.
Kuntz berichtete glückselig von den vielen Glückwünschen aus der Heimat. «Das ist sicherlich das, was die Leute zu Hause begeistert. Purer Fußball, die Leidenschaft war unwahrscheinlich zu erkennen, wie auch der Teamgeist», schwärmte der Coach. DFB-Interimspräsident Rainer Koch, der gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Peters zum Endspiel gereist war, sprach gar von einem Motivationsschub auf mehreren Ebenen: «Ich glaube, es muss ein Ruck jetzt durch das ganze Land gehen und wir müssen uns hinter Jogi Löw und sein Team stellen.»
Die Zukunft der Nationalmannschaft
Für die Zukunft der Nationalmannschaft unter Löw-Nachfolger Hansi Flick weckt die aktuelle Mannschaft Hoffnungen. «Bei Licht betrachtet, ist mit dieser Mannschaft jetzt wieder zu rechnen – in den nächsten Jahren mit den Spielern», sagte Koch im Bayerischen Rundfunk. Finaltorschütze Nmecha, der auch bester Torjäger des Turniers wurde, kündigte selbstbewusst an: «Wenn wir weiter so unser Talent zeigen, treffen sich einige von uns irgendwann bei der A-Nationalmannschaft.»
Mentor und Förderer Kuntz bemühte sich, die Erwartungen an die jungen Fußballer in der Euphorie nicht zu hochzuhängen: «Der Weg von der U21 zur A-Nationalmannschaft ist sehr weit», sagte er. Am Talentemangel in Deutschland ändere der Titelgewinn nichts – stolz auf sein Team und ihr Auftreten war er trotzdem: «Sie erfüllen im Moment sehr viele Tugenden und Werte, die man wahrscheinlich auch in ganz Deutschland gerne von der Nationalmannschaft sieht.» Seine Jungs verkörperten perfekt die international gefürchtete deutsche Tugend der Turniermannschaft.
Kuntz‘ besondere Ansprache an die junge Mannschaft zeigte auch beim aktuellen Jahrgang Wirkung – und führte für den Ex-Europameister zur dritten Finalteilnahme und zum zweiten Titel innerhalb von fünf Jahren. «Löwenherz und Adleraugen», hatte der 58-Jährige von seinem Team vor dem Halbfinale gefordert. «Und wir müssen eine Hyänenbande sein. Keiner kann sie leiden, aber zum Schluss bekommen sie immer das, was sie wollen», ergänzte der Coach schmunzelnd.
Erfolgstrainer Kuntz
Der Erfolgstrainer will nun erstmal ein paar Tage durchschnaufen, bevor er als ARD-Experte bei der EM im Einsatz ist und das nächste Großprojekt Olympia in Angriff nimmt. Wie es danach für ihn persönlich weitergehen wird, ließ der 58-Jährige, der beim DFB noch einen Vertrag bis 2023 hat, offen. In seinen fünf Jahren beim Verband hat der Coach mit der U21 alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Diese erfolgreiche Arbeit dürfte auch außerhalb des DFB aufmerksam registriert werden. «Die Kraft habe ich auf jeden Fall noch», sagte Kuntz auf die Frage nach den Aufgaben mit dem kommenden U21-Jahrgang.
Wertschätzung und Zuneigung seiner Spieler ist Kuntz, der nach der Rücktrittsankündigung von Löw lange auch als Kandidat auf den Bundestrainerposten galt, ohnehin längst gewiss. «Er schafft es super, die Jungs zu motivieren. Wir haben einfach Bock, für ihn zu spielen», sagte Nmecha, der in der U21 unter Kuntz regelmäßig starke Leistungen abgerufen und sich zum Top-Stürmer entwickelt hat. Seine Entwicklung ist nur eine von vielen Geschichten, die Kuntz nach dem großen Triumph im Kopf hatte. «Es waren sehr viele Spieler, die dieses Vertrauen zurückgezahlt haben», sagte Kuntz gerührt. In der langen Party-Nacht wurde oft und gerne darauf angestoßen.
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