Die Reise nach Hamburg trat Ronald Koeman mit gemischten Gefühlen an. Riesige Vorfreude auf sein erstes großes Turnier als Bondscoach, tolle Erinnerungen an das prestigeträchtige 2:1 im EM-Halbfinale gegen Deutschland an gleicher Stelle vor 36 Jahren, aber auch ein bisschen Reue für das, was danach passierte. Denn nach dem Abpfiff sorgte Koeman mit einer Geste für ein Bild, das bis heute in den Geschichtsbüchern des Fußballs seinen festen Platz hat.
Im Überschwang der Freude nach dem Sieg gegen den Erzrivalen, zu dem er mit einem verwandelten Foulelfmeter zum 1:1 maßgeblich beigetragen hatte, tat der damalige Abwehrchef von Oranje so, als würde er sich mit dem zuvor getauschten Trikot von Olaf Thon den Hintern abputzen. Die Aufregung in Deutschland war natürlich groß, noch heute wird Koeman bei jedem Besuch im Nachbarland auf die Szene angesprochen.
Bedauern für Geste von 1988
«Ich bedauere, was ich nach dem Spiel getan habe. Es war eine impulsive Reaktion, eine dumme Aktion, die mich mein Leben lang begleiten wird», hat Koeman inzwischen mehrmals gesagt. Stolz ist er darauf nicht, doch zu hoch hängen will er die Geschehnisse vor dem EM-Start mit seinem Oranje-Team gegen Polen an diesem Sonntag (15.00 Uhr/RTL und Magenta TV) im Volksparkstadion auch nicht.
Schließlich ist die Fußball-EM in Deutschland für ihn aus einem anderen Grund eine ganze besondere: Es ist sein erstes großes Turnier als Nationaltrainer. In seiner ersten Amtszeit als Bondscoach von 2018 bis 2020 führte er die Elftal ins Finale der Nations League und recht souverän zur paneuropäischen EM. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie musste diese um ein Jahr verschoben werden. Zu dem Zeitpunkt hatte Koeman bereits bei seinem Herzensclub FC Barcelona angeheuert.
Es wurde ein erfolgloses Intermezzo und Koeman ist froh, dass der Verband ihm nach dem Rückzug von Louis van Gaal im Anschluss an die WM in Katar eine neue Chance gab. Eine Chance, die Koeman nun mit aller Macht nutzen will. Denn in der Heimat ist er noch immer einer, der irgendwie meist im Schatten steht.
In der Heimat meist im Schatten
Als die Elftal 1988 Europameister wurde, war Koeman zwar Kapitän, doch in den Niederlanden redeten alle über Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard. Und als Bondscoach überstrahlen ihn noch immer van Gaal oder der legendäre Rinus Michels, selbst Bert van Marwijk genießt dank Platz zwei bei der WM 2010 in Südafrika fast noch einen besseren Ruf.
Und so stürzt sich Koeman seit Beginn der EM-Vorbereitung voller Tatendrang in die Arbeit. Auf dem Trainingsplatz im Wolfsburger AOK Stadion ist er stets mittendrin. Mit einer Trillerpfeife um den Hals gibt der 61-Jährige immer wieder Anweisungen, ist mit Feuereifer dabei.
Auch die Tatsache, dass seine Frau zum zweiten Mal an Krebs erkrankt ist, soll ihn nicht ablenken. «Das ist unter Kontrolle», sagte Koeman kurz angebunden, an einen Verzicht auf die EM habe er nicht gedacht. Er will es seinen Kritikern beweisen und mit einem erfolgreichen Abschneiden in Deutschland auch die Bilder von 1988 vergessen lassen.
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