24. November 2024

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«Freude fürs Volk»: Ukraine vor dem letzten Schritt zur EM

Cardiff, Leverkusen, Breslau: Auf die Ukraine wartet während des russischen Angriffskriegs das dritte Finale um eine Teilnahme bei einem großen Turnier. Die Chancen stehen sehr gut.

Vor dem sportlichen Endspiel in maximal belastenden Zeiten richtete der prominenteste Fußballer der Ukraine eine Botschaft an alle. «Dieses Team hat Charakter und Kampfgeist gezeigt – großartig! Ein entscheidendes Match in Breslau steht bevor. Gebt alles, damit wir das Ziel erreichen», schrieb Andrij Schewtschenko bei Instagram.

Der frühere Weltklassestürmer war 2012 als Spieler, 2016 als Co-Trainer und 2021 als Cheftrainer für die Ukraine bei einer EM. Inzwischen ist Schewtschenko Verbandspräsident und hofft inmitten des russischen Angriffskrieges auf einen sportlichen Lichtblick.

Ein Sieg im Playoff-Finale am Dienstag (20.45 Uhr/DAZN) gegen Island – und die Ukraine wäre zum vierten Mal in Serie für eine EM-Endrunde qualifiziert. Das packende 2:1 im Halbfinale gegen Bosnien-Herzegowina am vergangenen Donnerstag zeigte bereits, wie die dramatische Situation in der Heimat das Nationalteam berührt. Das Land hatte in der Nacht vor der Partie einen der schwersten Angriffe seit Kriegsbeginn erlitten.

Lebenszeichen in Kriegszeiten

«Die Raketen fliegen jeden Tag. Unsere Mission ist es zu zeigen, dass wir alle lebendig sind und gegen die Russen kämpfen und dass wir die Unterstützung Europas brauchen», sagte Nationaltrainer Serhij Rebrow nach dem Sieg, bei dem sein Team einen 0:1-Rückstand erst in der Schlussphase gedreht hatte. Der Fußball als Lebenszeichen in Kriegszeiten: Darum geht es laut Rebrow in diesen Tagen. «Dieses Spiel hat den Charakter unserer Spieler und unserer Nation gezeigt», sagte der Chefcoach nach dem Sieg in Zenica.

Doch für Spielmacher Heorhij Sudakow ist die sportliche Mission noch nicht erfüllt. Nun soll auch der letzte Schritt gelingen. «In diesen schwierigen Zeiten wäre die Qualifikation wichtig, um unserem Volk Freude zu machen», sagte Sudakow. Freude fürs Volk, den eigenen Soldaten Mut machen, für den Frieden spielen: Schon während der kompletten Qualifikation hatten die Profis des schwer gebeutelten Landes ihre eigene Rolle betont.

Heimspiel-Atmosphäre auch in Deutschland?

Bei dem Finale in der polnischen Stadt erwartet die Ukraine, die weiter keine Partien im eigenen Land absolvieren kann, Heimspiel-Atmosphäre. «Wir zählen auf die Unterstützung unserer Fans in Breslau», sagte Stürmer Danylo Sikan. «Ich bin sicher, dass es dort ein volles Stadion geben wird, alle warten auf das Spiel», fügte Cheftrainer Rebrow an.

Polen hat UN-Angaben zufolge nach Deutschland die meisten Flüchtlinge aus der von Russland angegriffenen Ukraine aufgenommen. Heimspiele könnte es bei geschaffter Qualifikation auch im Sommer in Deutschland geben. Die Rahmendaten für diesen Fall stehen bereits fest: Die Ukraine wäre am 17. Juni in München gegen Rumänien, am 21. Juni in Düsseldorf gegen die Slowakei sowie am 26. Juni in Stuttgart gegen Belgien gefordert.

Ukraine klar favorisiert

Zwei Gelegenheiten hatten die ukrainischen Fußballer seit Kriegsbeginn bereits, sich für ein großes Turnier zu qualifizieren. Im Juni 2022 verlor das Team das WM-Playoff-Finale gegen Wales und verpasste damit in Cardiff das Ticket für das Turnier in Katar. Im November 2023 wäre die direkte EM-Qualifikation mit einem Sieg gegen Titelverteidiger Italien möglich gewesen. Doch in Leverkusen reichte es nur zu einem 0:0. Nun stehen die Chancen deutlich besser, die Ukraine ist ob der spielerischen Qualität klar favorisiert.

Island will nach 2016, als man es als Publikumsliebling sensationell bis ins Viertelfinale schaffte, gerne wieder zur EM und überzeugte zuletzt beim klaren 4:1 im Halbfinale gegen Israel. «Sie sind diszipliniert und sie sind physisch besser vorbereitet als die Bosnier. Island weiß genau, was es tun muss, daher holen sie bereits seit längerer Zeit gute Ergebnisse», sagte Juchym Konoplja laut dem Portal Football24. Der Verteidiger warnte: «Wir müssen uns besser vorbereiten als auf das Spiel gegen Bosnien-Herzegowina.»

Von Patrick Reichardt und Andreas Stein, dpa