Wenn Thomas Müller und seine Kollegen in ein paar Wochen ihre hübschen Quartiere im «Home Ground» von Herzogenaurach beziehen, wird der Check-in eine gewisse herbe Note bekommen.
Der «Home Ground», vielsagender Name für das bereits zur EM 2021 bezogene Quartier der Nationalmannschaft auf dem Campus von Ausrüster Adidas, wird bald einen Teil seiner heimatlichen Gefühle für den Deutschen Fußball-Bund verlieren. Adidas, seit über 70 Jahren Ausrüster und immer wieder auch Gastgeber der DFB-Elf, wird durch den US-amerikanischen Branchenführer Nike ersetzt. Dessen wirtschaftlich unter Druck stehender Konzernchef John Donahoe will die deutschen Fußballer angeblich zu «globalen Helden» machen.
Ausrüsterwechsel sind in der Sportwelt nichts Außergewöhnliches – zumal dann, wenn sie hin zum Branchenprimus Nike erfolgen. Als vor Jahren etwa Tennisspielerin Serena Williams nicht mehr eine aufstrebende Teenagerin war, sondern Weltstar, wurde sie von Nike mit einem Vertrag ausgestattet, dem der vorherige Lieferant Puma nichts entgegenzusetzen hatte.
Adidas quasi ein Teil der Identität der DFB-Elf
Doch die Ehe zwischen Adidas und dem DFB ist etwas Besonderes, nicht nur wegen vier gemeinsam errungener WM-Titel allein der Männer-Auswahl. Legendär sind die Bilder, auf denen Firmengründer Adolf Dassler zu sehen ist, wie er persönlich Stollen in die Schuhe deutscher Nationalspieler schraubt – und so seinen ganz persönlichen Anteil auch am «Wunder von Bern» 1954 manifestierte. Adidas war fortan quasi ein Teil der Identität der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Adidas wurde nach eigener Darstellung überrumpelt, erst vom unterschriebenen Deal informiert. Die Attacke von Nike gegen den Rivalen als Germany mit tatkräftiger Einwilligung des DFB kam quasi aus dem Hintergrund, wie einst der legendäre Schuss von Helmut Rahn zum 3:2 gegen Ungarn. Nike macht jährlich mit umgerechnet 47 Milliarden Euro den doppelten Umsatz wie Adidas, Puma folgt mit 8,5 Milliarden Euro abgeschlagen auf Rang drei.
Im Fußballgeschäft ist Adidas jedoch Weltmarktführer vor Nike. Die Franken rüsten etwa die für den riesigen nordamerikanischen Markt wichtige Nationalmannschaft Mexikos aus und alle 30 Teams der stark wachsenden Major League Soccer (MLS), darunter auch Inter Miami mit Lionel Messi. Nike dagegen hatte sich zuletzt auf dem Fußballmarkt eher defensiv verhalten – Borussia Dortmund wechselte genauso wie Manchester City zu Puma, auch der FC Barcelona ging den Amerikanern von der Fahne, Bundesligist RB Leipzig ebenso.
Dass Nike jetzt – kurz vor Beginn der Fußball-EM in Deutschland – den Coup landet und bekanntgibt, stößt in Herzogenaurach sauer auf. Adidas-Konzernchef Björn Gulden hatte erst am 12. März noch stolz die bis dato geheim gehaltenen neuen Turnier-Trikots der deutschen Fußballer gezeigt, tags darauf wurden sie offiziell präsentiert. Wiederum nur ein paar Tage später reiste Nike-Chef Donahoe nach Deutschland, um den offenbar längst ausgehandelten Deal zu unterschreiben – was etwa im Netz Fragen in Sachen Timing und Stil aufwarf.
Kritik aus der Politik
Selbst die deutsche Politik sah sich angesichts der genauso überraschenden wie unangenehmen Nachricht zu einer seltenen Allianz veranlasst – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisierten den Deal unisono.
Für Adidas hat er wirtschaftlich zunächst einmal kaum Bedeutung. Der deutsche Markt ist für das Unternehmen gemessen an den Einnahmen nicht von herausragendem Rang, deutlich über 90 Prozent der Umsätze werden nach Adidas-Angaben im Ausland erzielt. Und die DFB-Trikots mit den drei Streifen – zum Preis von teils über 100 Euro pro Stück derzeit ein Verkaufsschlager – werden noch bis Ende 2026 produziert und verkauft – Europameisterschaft, Olympische Spiele, an denen die DFB-Frauen teilnehmen und die nächste Fußball-WM in den USA, Mexiko und Kanada liegen noch in diesem Zeitfenster.
Direkte Refinanzierung der Sponsoring-Gelder gibt es ohnehin nicht. Die jährlich 50 Millionen Euro für den DFB – der teuerste Ausrüstervertrag für einen Sportverband weltweit – rentieren sich für Adidas eher über die Markensichtbarkeit, der Trikotverkauf spielt nur einen Teil der Ausgaben wieder ein.
Dennoch ist die Nachricht, mit der eigenen Nationalmannschaft eines der wichtigsten Aushängeschilder zu verlieren, ein Schlag ins Kontor – und sie kommt für Adidas vor allem zur Unzeit. Gulden, einst selbst Fußballprofi, ist mit einer besonderen Affinität zum runden Leder ausgestattet. Der Konzern, den er vor gut einem Jahr übernommen hat, ist vor allem durch Experimente im Lifestyle-Bereich in Schieflage geraten, 2023 stand unter dem Strich erstmals seit über 30 Jahren sogar ein kleiner Verlust.
Nike soll 100 Millionen Euro pro Jahr zahlen
Gulden will bei Adidas nach den Erfahrungen mit den Produkten des Rappers Kanye West wieder mehr Sport – und vor allem Fußball. Das zeigt er nicht nur, wenn er etwa vor der Bilanzpressekonferenz demonstrativ für die Kameras den Ball auf seinem Fuß tanzen lässt.
Nike, ähnlich wie die deutsche Konkurrenz von weltwirtschaftlichen Problemen und den Unsicherheiten des Wachstumsmarktes China betroffen, musste zuletzt herbe Einbußen an der Börse verkraften – und konnte seinen Investoren nur eine durchwachsene Prognose für das laufende Jahr vorstellen.
Die Amerikaner sollen jetzt laut Medienberichten 100 Millionen Euro pro Jahr für die Kicker des finanziell und sportlich ausgehungerten DFB zahlen – angesichts der fortgesetzten Erfolglosigkeit zumindest der A-Nationalmannschaft ein aus kaufmännischer Sicht fragwürdiges Unterfangen. «Wir sind dankbar, aufgrund des von Nike zugesagten Engagements als Verband wieder in eine wirtschaftlich stabile Zukunft blicken zu können», sagte DFB-Schatzmeister Stephan Grunwald.
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