Gegenseitige Schuldzuweisungen und eine anstehende Untersuchung des Deutschen Fußball-Bundes – die Fahnen-Posse von Bochum hat ein Nachspiel. «Keiner schaut gut aus, wenn so eine Situation entsteht. Da haben wir alle – wir, die andere Seite – einfach kein gutes Bild abgegeben», kommentierte VfB-Coach Sebastian Hoeneß nach dem 0:1 (0:0) der Schwaben mit Blick auf das Chaos, das die Geduld aller Beteiligten vor Beginn der zweiten Halbzeit auf eine harte Probe stellte.
Zum Ärger vieler anderer Zuschauer weigerten sich VfB-Fans, eine Zaunfahne zu entfernen, die ein Fluchttor blockierte. Auch die Versuche von Hoeneß und einigen Spielern, die Ultras zum Einlenken zu bewegen, blieben lange Zeit erfolglos. Erst rund eine Stunde nach dem Halbzeitpfiff ging es weiter, nachdem die Ösen des Banners gelockert worden waren und die Fluchttore im Notfall wieder hätten geöffnet werden können. Der Deutsche Fußball-Bund wird die Vorgänge in der kommenden Woche untersuchen, wie der Verband auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte.
Unterschiedliche Positionen
Bei der Suche nach dem Hauptschuldigen vertreten beide Clubs unterschiedliche Positionen. VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle wies die Verantwortung der Stuttgarter zurück und griff verbal die Verantwortlichen in Bochum an. Demnach seien die Banner vor dem Spiel «mit dem Ordnungsdienst gemeinsam» angebracht worden. «Es wurde alles freigegeben.»
Die VfB-Fans seien zudem lösungsbereit gewesen, so Wehrle: «Die Fans, die Ultras haben angeboten, das Banner abzuhängen und dann das Stadion zu verlassen. Die Verantwortlichen wollten es dann nicht. Denn am Ende hat sich herausgestellt, dass sich die Fluchttore haben öffnen lassen trotz der Banner», sagte Wehrle. Man solle nicht in die Debatte reinbringen, dass die Vereine vor den Ultras kuschen: «In dem Fall war es ein Thema der Ordnungsbehörde in Bochum».
Nach Angaben der Bochumer war die Zaunfahne jedoch «regelwidrig» angebracht worden und erst im Laufe der ersten Halbzeit unter dem zuvor abgenommenen Protestbanner zu den umstrittenen DFL-Vermarktungsplänen sichtbar geworden. Die Gästefans hätten «vor Beginn der ersten Halbzeit die Dauer einer Lagebesprechung genutzt, um Banner regelwidrig aufzuhängen und diese mit einem Protestbanner zu kaschieren», teilte der VfL mit.
Aufarbeitung des Vorfalls in Aussicht
Fabian Wohlgemuth stellte eine Aufarbeitung des Vorfalls in Aussicht, der auch lange nach dem Schlusspfiff für Diskussionen sorgte. «Grundsätzlich muss man die Situation analysieren – mit unseren Fans, mit dem Veranstalter», sagte der Stuttgarter Sportdirektor. In einer Stellungnahme des Vereins teilten die Schwaben zudem mit, dass es zu der Verzögerung «vor allem wegen Kommunikations- und Zuständigkeitsfragen» gekommen sei. «Es steht indes außer Frage, dass die Sicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein muss. Das war aus unserer Sicht der Fall», hieß es. Der VfB werde den Fall «auch mit den Zuständigen in Bochum in aller Sorgfalt» aufarbeiten.
Auch der Revierclub sieht noch Gesprächsbedarf. «Der VfL Bochum 1848 wird die Vorkommnisse erneut zum Anlass nehmen, um über weitere zukünftige Maßnahmen zu beraten», hieß es in der Vereinsmitteilung.
Trainingsübungen zum warmhalten
Während der langen Pause hielten sich die Profis auf dem Rasen bei eisiger Kälte mit Trainingsübungen warm. «Das war das längste Spiel, das ich je gespielt habe», klagte Bochums Kapitän Anthony Losilla. Zwischenzeitlich drohte sogar ein Spielabbruch. «Wir standen kurz davor», verriet VfL-Sportdirektor Marc Lettau. Für Bochums Trainer Thomas Letsch wäre das ein unwürdiges Szenario gewesen: «Ich möchte mir nicht vorstellen, dass solch ein Spiel abgebrochen wird wegen so einer unnötigen Geschichte.»
Schiedsrichter Bastian Dankert wertete die lange Verzögerung jedoch als unvermeidlich. «Das Regelwerk besagt, dass man nach 30 Minuten sagt: Sehen wir noch ein bisschen Licht am Ende des Tunnels oder nicht. Wir wurden nach 30 Minuten darüber informiert, dass es schon eine Möglichkeit gebe, dass wir das Spiel wieder fortsetzen können», sagte der Referee der ARD: «Dementsprechend haben wir diesen Moment auch ausgereizt.»
Einen ähnlichen Vorfall hatte es bereits beim Heimspiel der Bochumer Ende September gegen Mönchengladbach gegeben, als erst mit Verspätung angepfiffen wurde. Kritik an der Vorgehensweise, die Zaunfahne nicht eigenmächtig zu entfernen, wies der VfL Bochum in einer Mitteilung zurück: «Ein Entfernen der Banner durch Ordnungskräfte des VfL stellte keine Option dar, um die angespannte Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.»
Mehr noch als die rund einstündige Halbzeitpause machte den Stuttgartern die erneute Niederlage zu schaffen. Auch im vierten Saisonspiel ohne Torjäger Serhou Guirassy gab es keinen Punkt. Zwar bot die Mannschaft in Bochum eine bessere Leistung als bei der Schlappe eine Woche zuvor in Mönchengladbach, ließ aber trotz spielerischer Dominanz viele Torchancen ungenutzt.
Der vor der Winterpause noch üppige Sieben-Punkte-Vorsprung des Tabellendritten auf den Fünften BVB ist binnen kürzester Zeit auf einen Zähler zusammengeschrumpft. «Den Start ins neue Jahr hatten wir uns anders erhofft als mit zwei bitteren Niederlagen», klagte Sportdirektor Wohlgemuth. «Dennoch kann man der Mannschaft nicht allzu viel vorwerfen. Wir haben es mit allem versucht, was wir hatten – nachher mit der Brechstange.» Auch Hoeneß verzichtete auf harsche Kritik an seinen Profis: «Gegen Gladbach waren wir mehr schlecht als gut. Heute sehe ich das anders. Wir haben über 90 Minuten viel richtig gemacht.»
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