Wer Vincenzo Gualtieri im WM-Vereinigungskampf live um eine historische Chance boxen sehen möchte, muss in Deutschland noch vor dem Sonnenaufgang aufstehen. Und online gehen.
Am Sonntagmorgen gegen 5:15 Uhr MESZ steigt der deutsche IBF-Weltmeister in Rosenberg/Texas in den Ring, um dort dem Kasachen Schanibek Alimchanuli möglichst dessen WBO-Gürtel zu entreißen. Der internationale Top-Kampf im Mittelgewicht mit einem deutschen Hauptdarsteller ist hierzulande aber nicht im klassischen Fernsehprogramm zu sehen, die ARD bietet immerhin einen Livestream auf sportschau.de an.
Wegen des fehlenden Interesses deutscher TV-Sender sah sich Gualtieri überhaupt erst zu einem riskanten Vereinigungskampf in den USA gezwungen. Gerne hätte er seine erste Titelverteidigung in Deutschland gegen einen schwächeren Gegner bestritten, «aber wenn die TV-Sender da leider nicht mitspielen, müssen wir uns noch ein bisschen gedulden», sagte der 30 Jahre alte Wuppertaler der Deutschen Presse-Agentur.
Dass selbst für den aktuell einzigen deutschen Weltmeister die Türen bei den Fernsehsendern verschlossen bleiben, zeigt den Stellenwert des Profiboxens hierzulande. Früher lockten Kämpfe von Henry Maske, Sven Ottke, Axel Schulz oder Graciano Rocchigiani ein Millionen-Publikum vor die Bildschirme, heute ist von diesem Boom nichts mehr zu spüren.
«Wird auch an der Zeit, dass man Geld verdient»
«Es ist ein bisschen traurig», sagte Gualtieri, der nicht länger auf mehr Interesse in Deutschland warten wollte: «Ich bin Weltmeister, es wird auch an der Zeit, dass man Geld verdient.» Promoter Ingo Volckmann vom Berliner Agon-Boxstall sagte der Sportschau: «Wir hätten gern auch noch zwei oder drei Kämpfe in Deutschland gemacht. Aber die Möglichkeiten, hier mit dem Boxen Geld zu verdienen, sind im Moment nicht besonders groß.»
Doch die Sache hat einen Haken: Gualtieri, der Anfang Juli in seiner Heimatstadt Wuppertal überraschend den Brasilianer Esquiva Falcao vom WM-Thron gestoßen hatte, setzt gleich bei seiner ersten Titelverteidigung fast alles auf eine Karte. Als Doppel-Weltmeister wären seine Vermarktungschancen in Deutschland deutlich größer, als Verlierer müsste er sich wieder hinten anstellen.
Seit Max Schmeling im Jahr 1931 konnte kein deutscher Boxer mehr einen WM-Kampf in Amerika gewinnen. Es sei «selbstverständlich eine Herausforderung», sagte Henry Maske im Interview mit RTL/ntv und sport.de. Der Olympiasieger und frühere WM-Champion rät Gualtieri, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen: «Dinge zu machen, die man sonst nicht gewöhnt ist, wäre aus meiner Sicht eher eine Dummheit.»
«Mehr Motivation geht nicht»
Gualtieri geht mit viel Vorfreude an die Sache. «Welcher Boxer möchte nicht mal in Amerika boxen – und dann noch den Hauptkampf bestreiten und zweifacher Weltmeister werden? Mehr Motivation geht nicht», sagte er über seinen ersten Kampf außerhalb Deutschlands: «Das ist schon immer ein Traum von mir gewesen.»
Sein einstiger Trainer Graciano Rocchigiani «wäre sicherlich stolz auf mich und hätte mir auf jeden Fall viel Kraft mitgegeben», meinte Gualtieri. Von der Box-Ikone habe er «viel gelernt» – vor allem, immer an sich selbst zu glauben. «Du kannst eines Tages Weltmeister werden», hatte Rocchigiani seinem Schützling immer wieder eingetrichtert.
Nach Rocchigianis Tod 2018 übernahm der Kubaner Franquis Aldama das Training, «unter ihm habe ich zu meinem ursprünglichen Stil zurückgefunden», erklärte der IBF-Weltmeister. Offensiv, leichtfüßig – ja fast schon tänzelnd wolle er im Ring agieren. Passend dazu hat der Boxer mit italienischen Wurzeln als Einlauf-Lied «La vida es un carnaval» der Salsa-Legende Celia Cruz ausgewählt. «Das motiviert mich, lockert mich auf und hilft, dass ich meinem Stil treu bleibe.»
Alimchanuli bislang ungeschlagen
Das allein wird aber vermutlich gegen Alimchanuli nicht reichen. Der gleichaltrige Kasache, der in den USA lebt und zum amerikanischen «Top Rank»-Team gehört, hat alle seine bisherigen 14 Profikämpfe gewonnen. Der frühere Amateur-Weltmeister gilt als technisch herausragend, zudem genießt er im 10.000 Zuschauer fassenden Fort Bend Epicenter Heimvorteil.
«Er ist ein sehr starker Boxer, aber wir wissen, auf was wir uns da einlassen», sagte Gualtieri und berichtete von einer «sehr guten» Vorbereitung für den vom US-Sender ESPN live übertragenen Kampf. Er sei überzeugt, «dass ich den zweiten Titel mit nach Hause nehmen kann. Ich bin da sehr optimistisch und siegessicher – so wie beim ersten Mal».
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