24. November 2024

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Bayern taumelt: Rückschritte in «Siebenmeilenstiefeln»

Mia san wer? Der FC Bayern lässt nach dem nächsten Titel-Rückschlag einen erzürnten Thomas Tuchel zurück. Oliver Kahn rafft sich zu einer Durchhalteparole auf. Alle blicken auf Uli Hoeneß.

Uli Hoeneß konnte beim nächsten Titel-Schock seines geliebten FC Bayern kaum noch hinsehen. Von Kummer gezeichnet verfolgte der Ehrenpräsident an der Seite des ebenfalls konsternierten Ex-Chefs Karl-Heinz Rummenigge, wie die Münchner Stars im Kampf um die Schale erneut patzten – und Trainer Thomas Tuchel damit wie nie zuvor erzürnten.

Die drohende erste titellose Saison seit 2012 wird beim taumelnden Rekordmeister für heftige Turbulenzen bis hinauf in die Chefetage sorgen. Fassungslos erlebte Vorstandsboss Oliver Kahn oben auf der Tribüne die Gegentreffer beim 1:3 gegen RB Leipzig, während Sportvorstand Hasan Salihamidzic geladen auf ihn einredete. Was wird aus dem Duo?

In der Loge wird es unbequem

Gut zwei Jahrzehnte nach der emotional zelebrierten Last-Minute-Meisterschaft im Fernduell mit dem FC Schalke 04 raffte sich der damalige Torwart-Titan Kahn am Samstagabend zu einer trotzigen Durchhalteparole auf, dass es doch noch eine große Meisterparty in Rot und Weiß am 28. Mai auf dem Münchner Marienplatz geben könnte.

Doch ungemütlich wird die zum Tag der Entscheidung erkorene Aufsichtsratssitzung zwei Tage danach selbst im Last-Minute-Titelfall. Nach drei zweiten Plätzen 2012 gab es die letzte große Zäsur. Auch jetzt ist ein Umbruch erforderlich. Die Frage ist nur, wie umfassend dieser ausfallen wird. Hoeneß wird maßgeblich entscheiden, wie es mit seinem Lebenswerk weitergeht.

Nach zwei Monaten im Amt verspürte Tuchel beim unerklärlichen Leistungsabfall seiner Stars «ein bisschen das Gefühl» von Ohnmacht. Der 49-Jährige hörte überhaupt nicht auf, die Mängelliste nach einer auch nur ordentlichen ersten halben Stunde aufzuzählen. «Krasse, krasse» technische Fehler, Positionierung, Entscheidungen, Laufverhalten – eigentlich gefiel Tuchel nichts.

«Werden alles auf den Kopf stellen»

Wirklich ratlos machte ihn aber, dass all das selbst für ihn als erfahrenen Trainer so unvermittelt gekommen sei. Nach vielen kleinen Schritten des Teams in die richtige Richtung sei es für ihn unerklärlich, «wieso wir uns dann entscheiden, in die komplett andere Richtung mit Siebenmeilenstiefeln zu gehen», schimpfte Tuchel. Er kündigte eine radikale Analyse an: «Wir werden alles auf den Kopf stellen.»

Tuchel geht nach dem Aus in DFB-Pokal und Champions League sowie den Rückschlägen in der Bundesliga mit einem ramponierten Image in die neue Saison, für die die Münchner viel Geld für neue Stars in die Hand nehmen müssen. «Wir werden uns nach der Saison zusammensetzen und schauen, was am Transfermarkt gemacht werden muss», sagte Salihamidzic: «Es sind auf jeden Fall ein paar Themen.»

Im Sommer 2012 kam Javi Martínez für 40 Millionen Euro als damaliger Rekordeinkauf für das defensive Mittelfeld. Ein Jahrzehnt später wünscht sich Tuchel dem Vernehmen nach für diese Position einen robusten Abräumer. Dringender Handlungsbedarf für das Sturmzentrum ist ohnehin ausgemacht.

Der Leipziger Mittelfeldspieler Konrad Laimer, der nach dem Münchner 1:0 durch Serge Gnabry zum Ausgleich getroffen hatte, deutete selbst einen Wechsel zum FC Bayern an. Die Verkündung rückt näher, wenngleich sie nicht am Samstag erfolgte. «Ich habe jetzt keine Lust, irgendwas zu bestätigen», wiegelte Kahn ab.

Torwart-Titan auf dünnem Eis

Vielmehr war er damit beschäftigt, alle noch verbliebenen Kraftreserven nach einer zehrenden Saison für das Finale am kommenden Samstag auswärts gegen den 1. FC Köln zu mobilisieren. Dortmund ist dann eine Woche nach dem Augsburg-Spiel Gastgeber für den FSV Mainz 05. «Mein Glaube ist immer da. Ich werde den Teufel tun und hier irgendwas abschenken», sagte Kahn.

Diese Haltung könnte auch für seinen eigenen Job gelten. 2012 kam Matthias Sammer als neuer Sportvorstand für Sportdirektor Christian Nerlinger. Trifft es jetzt Kahn? Oder Salihamidzic? Oder beide? Einig sind sich Entscheider und Stars: Ein Weiter-so kann es nicht geben. «Ein Spiegelbild der Saison. Es waren zu viele Spiele so wie heute», sagte der erneut geknickte Mittelfeldleader Joshua Kimmich. Viele Fans hatten vorzeitig von ihrem Team genug. Scharen von Bayern-Fans strömten vor dem Abpfiff aus der Allianz Arena.

Gegen die Sachsen, die dank weiterer Treffer durch Christopher Nkunku und Dominik Szoboszlai nach Elfmetern den Sieg und vorzeitig die Qualifikation für die Champions League feiern konnten, ließ der teuerste Kader der Vereinshistorie Gier und Klasse vermissen. Trotz zumindest namentlich starker Einzelkönner steht keine echte Mannschaft auf dem Platz.

In New York überfahren

«Wenn wir aufhören, nach unseren Prinzipien zu spielen, dann wird es ein Würfelspiel. Dann gewinnen wir halt oder verlieren halt», sagte Tuchel und zuckte genervt mit den Schultern. Den Ausgleichstreffer kommentierte er bildreich. «Du musst dein Verhalten anpassen. Wenn du in New York über die Straße gehst, verhältst du dich anders, als wenn du in Bogenhausen über die Straße gehst. Wenn du ohne zu gucken gehst, wirst du überfahren.» Der frühere Chelsea-Coach ließ im großen Ärger auch durchblicken, dass er gerne erst zur neuen Saison begonnen hätte, «aber es ist nicht immer ein Wunschkonzert».

In den vergangenen zehn Jahren wurde der FC Bayern immer mindestens Meister. Ein Jahr nach der tränenreichen Tristesse 2011/12 gab es sogar das Triple, das Thomas Müller und Co. 2020 wiederholen konnten. «Dass die Mannschaft vielleicht keinen Titel gewinnt, ist auch für mich verwunderlich. Ich stehe immer hinter der Mannschaft. Vielleicht brauchen sie auch mal eine Saison, in der sie erleben, wie es ist, keinen Titel zu bekommen», sagte Salihamidzic. Entlarvend ehrlich fügte der Sportvorstand hinzu: «Die Probleme sitzen tief. Ich kann aber nicht sagen, was unsere Probleme sind.»

Christian Kunz und Klaus Bergmann, dpa