25. November 2024

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«Europa wartet auf uns»: Italiens Fußball genießt Höhenflug

In den 90er-Jahren waren italienische Clubs das Maß aller Dinge im europäischen Fußball. Zuletzt war davon nicht viel übrig. Nun gibt es ein Comeback. Doch ist dies nachhaltig?

Aurelio De Laurentiis hat gerade eine außergewöhnlich gute Zeit. «Wir haben etwa 50 Spiele im Jahr und erleben diese gerade absolut intensiv», schwärmte der Clubchef des SSC Neapel.

«Es ist, als ob man 50 Mal Liebe macht mit der schönsten Frau der Welt. Nicht schlecht, oder?» Ungewohnt schlecht war viele Jahre das, was die italienische Serie A in der Champions League ablieferte. Kein Königsklassen-Sieg seit 2010 und kein Finalist seit 2017. In der Europa League ist Italien seit der Premiere 2010 noch ohne Titel und stellte in Inter Mailand 2020 nur einen Endspiel-Teilnehmer. 

Nun aber ist alles anders. «Forza, Leute, Europa wartet auf uns. Lasst es uns erobern», titelte die «Gazzetta dello Sport» zum Beginn der Viertelfinals am Dienstag und freute sich vor allem auf «eine Champions League, die Italienisch spricht. Wir sind sogar besser als die Engländer. Heben Sie die Hand, wenn Sie sich das zu Beginn der Saison vorgestellt haben.»

Trio im Königsklassen-Viertelfinale

Das hätte sicher niemand. Erstmals seit 17 Jahren steht wieder ein italienisches Trio in der Runde der besten Acht. In den vergangenen beiden Jahren waren die Serie-A-Clubs in dieser Phase sogar schon allesamt raus. Nun sind der souveräne Tabellenführer Neapel sowie die Mailänder Clubs Inter und AC neben fünf Vorjahres-Viertelfinalisten dabei. Milan erstmals seit elf Jahren, Inter erstmals seit zwölf und Napoli gar zum ersten Mal überhaupt. 

Und seit der Auslosung, «die uns ein Lächeln geschenkt und einen elektrisierenden Sprint einläutete», wie die «Gazzetta» schreibt, ist ein Halbfinalist sicher. Hinzu kommen drei weitere Viertelfinalisten in der Europa League und der Conference League.

Sechs Clubs stellte Italien in dieser Saisonphase überhaupt nur zweimal, zuletzt 1999. Den Italienern schwoll die Brust, als UEFA-Präsident Aleksander Ceferin in seiner Rede bei UEFA-Kongress kürzlich fragte: «Welche Liga hat die meisten Vertreter im Champions-League-Viertelfinale? Italien! Welche Liga hat die meisten Vertreter im Europa-League-Viertelfinale? Italien!»

Die Clubs sind nicht nur in eigener Mission unterwegs, sondern mehr denn je als Repräsentanten des italienischen Fußballs und seiner Liga. «Es wird Zeit, dass wir das Klischee vom schlechten italienischen Fußball beseitigen», sagte Neapels Trainer Luciano Spalletti. Und Javier Zanetti, Vize-Präsident von Inter, erklärte: «Dass drei italienische Mannschaften dabei sind, ist sehr wichtig für unseren Fußball. Hoffen wir, dass es eine bis ins Finale schafft.»

Ruf aufzupolieren

Den Ruf aufzupolieren, ist auch deshalb wichtig, weil der Calcio weiter von Rassismus- und grundsätzlichen Gewalt-Problemen begleitet wird, wie zuletzt die Krawalle rund um das Achtelfinale von Neapel gegen Eintracht Frankfurt zeigten. Auch sind viele sich nicht sicher, ob der Erfolg dieser Saison kein Zufall ist. Mit Frankfurt, dem FC Porto und Tottenham Hotspur zählten die Achtelfinal-Gegner des Trios nicht zur ersten Liga Europas. Beeindruckend war im Gegenzug, dass die Italiener in sechs Spielen kein Gegentor kassierten. 

Für Anna Guarnerio kommt der Höhenflug zum besten Zeitpunkt. «Ich habe definitiv Glück mit dem Timing gehabt», sagte die neue Direktorin für internationale Medienrechte bei der Serie A zu «Goal» und «Spox». «Das hilft der internationalen Wahrnehmung des Calcio natürlich. Speziell zu diesem Zeitpunkt, da wir gerade probieren, das Image der Serie A im Ausland vor einem neuen Vergabezyklus der TV-Rechte zu verändern.» 

Nationaltrainer Roberto Mancini verfolgt das Auftreten der Clubs nach dem EM-Titel 2021 und der verpassten WM 2022 derweil noch mit Vorsicht. «Ich würde nicht von einer Wiedergeburt des italienischen Fußballs sprechen», sagte er: «Wenn Milan, Napoli und Inter mit 33 Italienern spielen würden, könnte man das sagen. Aber es ist ja noch nicht einmal die Hälfte.»

Holger Schmidt und Robert Messer, dpa