24. November 2024

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Flick jetzt ein Konflikt-Trainer: Zündfunke für EM 2024

Hansi Flick muss ein Bundestrainer des Wandels werden. Nur so kann der Funke für die Heim-EM 2024 gezündet werden. Der 57-Jährige ist als Reformer, Motivator und Kommunikator gefordert. Kann er das?

Für Hansi Flick geht es weiter. Ein «Weiter so» kann es für ihn als Bundestrainer aber nicht geben. Auch wenn ein Rauswurf laut DFL-Boss Hans-Joachim Watzke trotz des WM-Debakels in Katar «nicht eine Sekunde zur Diskussion stand».

Auf Flick warten nach dem schnellen Treuebekenntnis der DFB-Führung möglicherweise schmerzhafte Entscheidungen und persönliche Konflikte. Haben treue Wegbegleiter wie Manuel Neuer (36) und Thomas Müller (33) noch eine Zukunft in der Fußball-Nationalmannschaft? Wird der große Harmoniemensch Flick ihnen mitteilen müssen, dass die Zeit im DFB-Trikot mit dem Tiefpunkt Katar vorbei ist? Die in die Jahre gekommenen Rio-Weltmeister haben sich nach der Rückkehr aus Katar nicht mehr zu ihren Plänen geäußert. 

«Eine große Chance verpasst»

Auf den 100 Kilometern von Frankfurt durch den dunklen Adventsabend zurück nach Hause, nach Bammental, werden dem Bundestrainer nach der kurzen Krisensitzung mit DFB-Chef Bernd Neuendorf und Watzke die tristen WM-Gedanken durch den Kopf gegangen sein. Doch der Blick geht nach vorne. «Wir als Mannschaft können viel mehr erreichen, als wir in Katar gezeigt haben. Wir haben dort eine große Chance verpasst. Daraus werden wir unsere Lehren ziehen», lautet Flicks Versprechen an die Fußball-Nation für die Heim-EM 2024. Daran muss er sich messen lassen, wenn im März 2023 eine lange Serie von Testpartien bis zum EM-Eröffnungsspiel am 14. Juni 2024 in München beginnt.

Flick wird sich in den nächsten Monaten weiterentwickeln müssen. DFB-Direktor Oliver Bierhoff als Kompagnon und Schutzschild ist nicht mehr da. Wie sehr ihn das wurmt und schmerzt, hat Flick hinlänglich zum Ausdruck gebracht. Wer folgt auf Bierhoff? Dafür wird Flick genau beobachten, was im Dunstkreis der Nationalmannschaft nun passiert. Wie am Donnerstag bei der Pressekonferenz von DFL-Aufsichtsratschef Watzke, dem neuen großen Strippenzieher im deutschen Fußball, der für die Schlüsselpersonalie möglicherweise andere Interessen verfolgt als Flick. Auch wenn er auf dem Liga-Podium auf Harmonie machte.

Einen Schnellschuss muss es nach Ansicht von Watzke nicht geben, auch wenn er eine «Lösung vor Weihnachten schön» fände. Ob das «Vakuum», das Bierhoff nach seinem Rückzug hinterlasse, von einer oder zwei Personen geschlossen werde, müsse man abwarten. «Am Ende ist das eine DFB-Entscheidung», sagte DFB-Vizepräsident Watzke in seiner Funktion als DFL-Aufsichtsrat. Auch eine Neuauflage einer Task Force für die Nationalmannschaft mit namhaften Bundesliga-Köpfen legte Watzke wie viele andere Dinge geschickt in den Aufgabenbereich von Neuendorf. Es ist viel Konjunktiv im Funktionärswesen. Flick darf sich darin nicht verheddern. 

Zweite Chance für Flick

Für Flick ist die zweite Chance als Bundestrainer eine Art Emanzipation. Ein Erwachsenwerden im DFB-Kontext, in dem er als Assistent von Joachim Löw bis zum WM-Sieg 2014 mitschwebte und als Bundestrainer in Bierhoff einen starken, weil polarisierenden Wegbegleiter hatte. Wer immer die Bierhoff-Rolle übernimmt, gut möglich in einem anderen Zuschnitt: Dass die Chemie irgendwann so gut stimmt, ist kein Automatismus. Flick wird eine selbstbewusstere Rolle einnehmen müssen. 

Kernaufgabe ist nämlich die Rückeroberung der enttäuschten und mittlerweile sogar gleichgültigen Fan-Herzen. «Wir alle möchten, dass sich bei der Heim-EM 2024 wieder ganz Deutschland hinter der Nationalmannschaft versammelt», sagte Flick. Dass das in Katar nicht so war, sich die Fußball-Nation über die Missstände im Gastgeberland und eine bunte Kapitänsbinde mehr echauffierte, als Schwarz-Rot-Gold zuzujubeln, das hat Flick nicht verstehen können. Es bleibt für ihn ein Grund für das sportliche Scheitern.

Ziel: Die Fans zurückholen

Ein Sommermärchen-Feeling. Wie schafft man das ohne die angeborene Begeisterungsfähigkeit von Jürgen Klinsmann? Natürlich gelingt so etwas am ehesten mit attraktivem Fußball und Siegen, so, wie es unter Flick bei seinem Rekordstart als Bundestrainer mit acht Erfolgen schon ganz zart der Fall war. Aber auch eine Öffnung, mehr Nahbarkeit und weniger Abschottung sind angesagt. Die Nationalmannschaft muss wieder ins wirkliche Leben zurück, diesseits der hohen Mauern eines Zulal Wellness Resorts.

Öffentliche Trainingseinheiten vor Heimspielen, in der Vergangenheit eine absolute Rarität, könnten auch ein probates Mittel sein. Flick wird für solche Aktionen über seinen Schatten springen müssen. Die Wagenburg-Attitüde, die Bierhoff zur Maxime erklärte, ist Geschichte. 

Flick denkt auch nach dem WM-Scheitern groß. Er blicke mit seinem Trainerteam «optimistisch» auf die Europameisterschaft im eigenen Land, ließ er via DFB-Mitteilung wissen. Auch Watzke will einen Grundoptimismus bewahren. «Wir sind bei der WM auch nicht sang- und klanglos ausgeschieden. Wir haben uns nicht komplett in Schutt und Asche gelegt», sagte er.

Aber: Auch Flick verpasste Chancen. Die Chance, vor Turnierbeginn eine Elf einzuspielen. Oder sich auf Schlüsselpositionen klar festzulegen. Mit welchem Personal er die EM angeht, das wird ein Knackpunkt sein. Erneuerung geht nicht mit Beharren. Noch hat keiner der 26 WM-Spieler seinen Rücktritt erklärt. Neben Neuer und Müller auch nicht Ilkay Gündogan (32). Ein Festhalten an den DFB-Veteranen könnte ihm als Festkleben an alten Kräften ausgelegt werden. Ein Signal für die Zukunft wäre es nicht. Zu dieser Kategorie gehört auch Marco Reus (33), der die WM nach einer Verletzung verpasste, den Flick aber sehr schätzt. 

In Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Niklas Süle (alle 27) und Antonio Rüdiger (29) steht die nächste Generation nun voll in der Verantwortung. Flick wird sie endlich auch auf der großen Turnierbühne titeltauglich machen müssen. Der Bundestrainer selbst hatte die WM schon als Zukunftsprojekt genutzt. In Verteidiger Armel Bella Kotchap (20), Karim Adeyemi (20) und Youssoufa Moukoko (18) hatte er Perspektivspieler zum Lernen mit nach Katar genommen. 

Arne Richter, Klaus Bergmann und Eric Dobias, dpa