24. November 2024

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Nach Flucht aus Russland: Voigtmann heiß auf Basketball

Es ist ein turbulentes Jahr für Johannes Voigtmann. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch das Leben des Basketballers durcheinander gewirbelt. Und das kurz vor der Heim-EM.

Endlich wieder Basketball! Endlich wieder mit Teamkollegen auf dem Parkett! Für Johannes Voigtmann sind die beiden anstehenden WM-Qualifikationsspiele in Estland am Donnerstag und drei Tage später in Bremen gegen Polen zwei ganz besondere.

Nicht, weil es für die deutsche Nationalmannschaft um eine gute Ausgangslage für die zweite Gruppenphase auf dem Weg zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr geht. Auch nicht, weil die Begegnungen schon ein erster kleiner Vorbereitungsschritt für die EM in diesem Sommer mit einer Vorrunde in Köln und der Endrunde in Berlin sind. Voigtmann hat einfach wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seit Ende Februar kein Basketball mehr gespielt.

Als Wladimir Putin am 24. Februar den Befehl für den Einmarsch in die Ukraine gab, stand Voigtmann noch beim russischen Topclub ZSKA Moskau unter Vertrag. Der 29 Jahre alte Center weilte mit seinem Team gerade in München, wo das für den Abend angesetzte Euroleague-Spiel beim FC Bayern aber kurzfristig abgesagt wurde. An Basketball konnte wegen der schrecklichen Bilder aus der Ukraine niemand denken – an einen Verbleib in Russland ebenso wenig.

Unagebrachte Symbolik

«Ich kann es in der aktuellen Situation nicht mit mir vereinbaren, für ein russisches Team Wettkämpfe auszutragen, wo es am Ende um Sieger und Verlierer geht», sagte Voigtmann Anfang März in einem Interview des «Kicker». «Auch wenn es nur um Basketball geht, beinhaltet das eine Symbolik, die aus meiner Sicht derzeit unangebracht ist.»

Also schnappte sich Voigtmann nach seiner Rückkehr aus München nach Moskau und nach Gesprächen mit den ZSKA-Verantwortlichen seinen Schäferhund, räumte die Wohnung leer und machte sich mit dem Hund auf dem Beifahrersitz im Auto über rund 2500 Kilometer auf den Weg nach Deutschland, wo seine Familie bereits auf ihn wartete.

«Der russische Staatspräsident hat einen brutalen Angriffskrieg zu verantworten, wegen dem unschuldige Menschen in der Ukraine sterben, Millionen von Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, gerade auch Kinder ihr Zuhause oder gar ihr Leben verlieren. Da konnte ich einfach nicht in Russland bleiben und weitermachen, als sei nichts passiert», sagte Voigtmann.

Offiziell noch in Moskau unter Vertrag

Wieder in Deutschland ging es erst einmal darum, das abrupte Ende in Moskau mental zu verarbeiten. Danach stand Voigtmann auch mit Blick auf die Heim-EM vor der Frage: Kurzfristig noch zu einem anderen Verein wechseln, um Spielpraxis zu sammeln, oder dem Körper nach vielen Jahren ohne größere Pausen einmal etwas Zeit zur Erholung geben? Voigtmann entschied sich für letztere Variante, auch weil sich die Gespräche mit ZSKA über eine Vertragsauflösung nicht so einfach gestalteten. Noch immer steht er offiziell bis Sommer 2023 in Moskau unter Vertrag.

Doch zunächst gilt die Konzentration in diesem Sommer dem Nationalteam. Schon vor zwei Wochen war Voigtmann Teil einer kleinen Gruppe, die in Frankfurt am Main das Training aufnahm. Seit vergangenem Freitag nun hat Bundestrainer Gordon Herbert seine komplette Mannschaft um sich versammelt und ist froh, dass Voigtmann dabei ist. «Jo ist ein ganz wichtiger Bestandteil», sagte Herbert. «Wir müssen jetzt sehen, wie schnell er wieder seinen Rhythmus findet.»

Zusammen mit NBA-Profi Dennis Schröder soll Voigtmann das Team in diesem Sommer führen. Schon im vergangenen Jahr, als Schröder fehlte, war Voigtmann einer der Leader. Auch mit klaren Aussagen in der Causa Joshiko Saibou, der sich in der Corona-Zeit nicht deutlich von Verschwörungstheorien distanzierte, machte der Thüringer sein Standing im Team deutlich.

«Ich bin jetzt seit acht oder neun Jahren dabei und habe mich da in eine Rolle reinentwickelt», sagte Voigtmann der dpa. «Es ist ja nicht so bei uns, dass einer der Chef ist. Wir haben viele, die auf höchstem Niveau spielen und deshalb das Recht haben, etwas zu sagen. Und ich glaube, ich bin einer davon.»

Von Lars Reinefeld, dpa