25. November 2024

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Sprinterin Gina Lückenkemper «fliegt» bei Comeback zum Titel

In Berlin sorgt Gina Lückenkemper mit ihrem 100-Meter-Sieg in 10,99 Sekunden für einen Glanzpunkt. Die 25 Jahre alte Sprinterin berichtet danach über eine schwierige Zeit in ihrem Leben.

Diesem Gefühl war Gina Lückenkemper vier Jahre vergeblich nachgejagt – im 100-Meter-Finale der deutschen Meisterschaften in Berlin war es endlich wieder da.

«Es hat sich angefühlt wie fliegen», beschrieb die 25-Jährige ihren rasanten Lauf unter die Schallmauer von elf Sekunden. Nach einer langen, nicht einfachen Zeit stürmte die EM-Zweite in 10,99 Sekunden zurück an die Spitze der deutschen Sprint-Elite. Danach ließ sie ihren vielen Emotionen und den Tränen der Freude freien Lauf.

Die Leichtigkeit spürte sie in allen drei Rennen am Samstag, die sie «kontrolliert und easy» sowie gefühlt «ohne großen Aufwand» absolviert habe. Zuletzt war ihr so etwas 2018 bei der Europameisterschaft in Berlin im Halbfinale und Finale in je 10,98 Sekunden gelungen, ebenfalls auf der blauen Laufbahn im Olympiastadion. Schneller flitzte Lückenkemper nur bei der WM 2017 in London in 10,95 Sekunden. «Gina hat einen unglaublich starken Lauf gezeigt», zollte Rebekka Haase, die in 11,20 Sekunden Zweite wurde und die EM-Norm knackte, ihrer Konkurrentin Respekt.

Hartes Training in Florida

Die Grundlage für ihre flotte Rückkehr als Nummer eins im Frauen-Sprint nach Verletzungspech und Corona-Ausbremsung legte die in Hamm geborene Westfälin beim US-Coach Lance Brauman in Florida. Es war ein Schritt über den Ozean, der zahlreiche Kritiker auf den Plan rief. Auch, weil der Trainer als nicht unumstritten wegen seiner Nähe zu Athleten gilt, die einen Doping-Schatten geworfen haben.

Als es bei Lückenkemper nicht lief, erlebte sie zudem nach eigenen Angaben massive Beleidigungen und Anfeindungen in den sozialen Medien. «Am schlimmsten war, dass in der Gesellschaft auf jemanden, der am Boden liegt, eher drauf getreten wird, als dass eine helfende Hand kommt», sagte die Athletin vom SCC Berlin im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF. «Social Media ist Fluch und Segen zugleich, Fluch war es bei mir vor zwei Jahren», berichtete sie.

Vom Kurs ließ sie sich nicht abbringen. «Ich hatte immer das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Ich habe nie daran gezweifelt, auch wenn von vielen Seiten kritische Stimmen kamen», betonte sie. «Ich war mir sicher, dass das was ich mache, genau das Richtige ist.»

Mit Selbstbewusstsein zur WM

Bei Brauman lernte Lückenkemper neue Dimensionen der Trainingsintensität und -vielfalt kennen – und sich im Kreis von Weltklasseläufern wie Noah Lyles und Shauna Miller-Uibo zu behaupten. «Da will man sich keine Blöße geben und zeigen, dass man zurecht in der Gruppe ist», sagte Sympathieträgerin. «Jedes Training tut weh. Laktat-Schmerz lässt grüßen.»

Mit neuem Selbstbewusstsein blickt sie nun der WM vom 15. bis 24. Juli in Eugene/USA und der Heim-EM drei Wochen später in München entgegen. «Ich arbeite konzentriert weiter. Dann wird es bei beiden Events noch mal richtig schnell», sagte sie. Angestrebt ist, dass dies auch über 200 Meter und mit der Staffel der Fall sein wird. In Berlin verzichtete sie wegen müder Beine auf die 200 Meter.

Lückenkemper bedauerte, dass es nicht zum Duell mit Alexandra Burghardt kam, die 2021 beide Titel und im Winter als Bob-Anschieberin auch noch Olympia-Silber in Peking holte. Wegen Magen-Darm-Problemen musste die schnellste Frau der vergangenen Saison den Start absagen. «Es wäre eine Challenge gewesen», sagte Rivalin Lückenkemper. «Ich hätte es Alex gegönnt, zumindest die Chance zu haben, den Titel zu verteidigen. Wenn sie fit ist, kann sie unfassbar starke Zeiten rennen.»

Nun hofft sie gemeinsam mit Burghardt in der Sprint-Staffel Großes schaffen zu können bei WM oder eher bei der EM. «Ich denke, dass wir eine coole Staffel zusammenkriegen und definitiv um eine Medaille mitrennen können», meinte Lückenkemper, die sich gar nicht als Rückkehrerin empfindet. «Ganz viele Leute machen aus mir jetzt ein Comeback-Kid, aber ich finde ja: Ich bin nie weg gewesen», betonte sie. «Ich habe einfach nur Verletzungspech gehabt.»

Von Andreas Schirmer und Robert Semmler, dpa