Nach den vergangenen drei Spielzeiten musste der Hamburger SV stets Schadenfreude und Spott ertragen – diesmal könnte es anders sein.
Was bei drei gescheiterten Aufstiegsversuchen in der 2. Liga noch nie gelungen war, haben die Norddeutschen in den jüngsten fünf Wochen geschafft: Ein starkes Saisonfinale. Wird die Siegesserie am Sonntag bei Hansa Rostock fortgesetzt, sichert sich der Tabellendritte mindestens den Relegationsplatz. Das hat enorm viel mit Trainer Tim Walter zu tun.
Dabei war sein Team Anfang April weit zurück. Nach der Niederlage beim Nordrivalen Holstein Kiel (0:1) schien die vierte erfolglose Saison in Serie besiegelt. Mit sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz war der HSV abgeschrieben. Punktebilanz (45) und Platzierung (6.) waren die schlechtesten in vier Zweitliga-Jahren zum vergleichbaren Zeitpunkt (zuvor: 50/3., 49/3., 52/2.). Die Fans verloren die Lust, das Stadion wurde leerer.
Siegesserie
Was dann folgte, überraschte selbst die Optimisten. Erstmals in der laufenden Saison gelang eine Serie von vier Siegen. «Das ist echt unglaublich», sagte der ehemalige HSV-Profi Rafael van der Vaart der «Bild». Eine mögliche Erklärung: In den Vorjahren war der HSV stets der Gejagte, jetzt ist er der Jäger. Diese Ausgangslage scheint den Hamburgern zu liegen.
Walter überzeugt mit seiner Spielphilosophie. Der Badener hatte schon zu Saisonbeginn festgelegt, das Drumherum auszublenden, bis zuletzt nicht über Aufstieg zu reden. «Wir bleiben bei uns», lautet sein Kernsatz. Die Zurückhaltung warf er erst jetzt vor dem letzten Spieltag über Bord, und er sagte offensiv: «Wir wollen aufsteigen.»
Sein Offensivfußball, der anfangs mit permanenten Positionswechseln noch wild wirkte und mit aufgerückter Defensive mitunter riskant ist, verläuft mittlerweile geordneter. «Diese Art Fußball zu spielen, macht unheimlich Spaß», sagte Robert Glatzel, mit 21 Saisontoren der Toptorschütze des HSV. Zugleich loben die Profis das gute Klima im Team und würdigen Walters Rolle.
HSV will den Ball haben
Der 46 Jahre alte Coach ist Verfechter des Ballbesitzfußballs. Mit Ausnahme der jüngsten Partie gegen Hannover 96 (2:1) hatten stets die Hamburger häufiger den Ball als der Gegner. Walters Logik: Ist der Ball bei uns, kann der Gegner keine Tore schießen. Das geht auf. Keine Mannschaft musste so wenige Gegentore hinnehmen wie der HSV (33). Obwohl die Hamburger nach Schalke (70) und Darmstadt (68) mit 64 Toren die meisten Tore der Liga erzielten, hält die Ausbeute nicht Schritt mit den Chancen. Zwölf Unentschieden, die zweitmeisten der Liga, stehen auch für verschenkte Siege. Wäre der HSV effektiver, hätte er die Bundesliga-Rückkehr wohl schon längst in der Tasche.
Während die Hamburger zuletzt eine stabile Siegesserie hinlegten (12 Punkte), strauchelte die Konkurrenz. Schalke (9), Bremen (7), Darmstadt (6), St. Pauli (2) – die Aussetzer der Rivalen holten den abgeschlagenen HSV zurück ins Spiel. Und mit jedem Sieg wuchs das Selbstbewusstsein. «Wir sind überzeugt von uns, wir sind mutig», beteuerte Walter und befand: «Wir sind da, wo wir sind, zu Recht.»
Sportchef Jonas Boldt, der seit Amtsübernahme nicht zum dritten Mal den Aufstieg verpassen will, macht sich stark für Walter. Denn in einigen Vereinsgremien soll der Coach umstritten sein. «Wenn wir in dieser Konstellation zusammenbleiben, dann kann hier richtig etwas wachsen. Und genau das ist, was dem HSV die letzten zehn bis 20 Jahre gefehlt hat», sagte der 40 Jahre alte Sportchef nicht ganz uneigennützig. Das wichtigste Argument aber fehlt noch.
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