10. November 2024

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Politt und der Überraschungseffekt in Flandern

Die Flandern-Rundfahrt ist so etwas wie der inoffizielle belgische Nationalfeiertag. Nils Politt wollte eigentlich um den Sieg mitfahren, doch gesundheitliche Probleme durchkreuzten den Plan.

Vielleicht nimmt sich Nils Politt eine Weisheit aus dem Boxen als Leitbild. Angeschlagene Kämpfer, heißt es dort, seien die gefährlichsten. Und Politt hängt vor den vier wichtigsten Wochen der Klassikersaison im Radsport ein wenig in den Seilen.

Gleich dreimal knockte den Kölner in den vergangenen Wochen eine Bronchitis aus, weshalb er bei der Flandern-Rundfahrt am Sonntag maximal Außenseiterchancen hat. «Man muss da realistisch sein, für ganz vorne bei Flandern wird das schwierig bis unmöglich», sagte Politt der dpa.

Grippewelle trifft das Peloton

Nach dem Weggang von Topstar Peter Sagan ist der 28-Jährige bei den Klassikern das Aushängeschild des deutschen Teams Bora-hansgrohe. Mit Blick auf sein Palmares völlig zurecht. Mit den Plätzen fünf in Flandern und zwei bei Paris-Roubaix vor drei Jahren hat sich Politt in die Weltspitze gefahren und sich dort spätestens mit dem Solo-Etappensieg bei der vergangenen Tour de France auch etabliert.

Doch die Gesundheit spielt in diesen Wochen nicht mit, wodurch Trainingseinheiten und Rennhärte fehlen. «Unsere gesamte Mannschaft war von Krankheiten gebeutelt und wir haben leider keinen einzigen Fahrer, der wirklich in Topform ist», betonte Politt. Teilweise hatte der Rennstall nur zehn fitte Fahrer, trat bei vielen Rennen nicht mit der maximal erlaubten Zahl an Profis an.

Diesen Ärger hat Bora-hansgrohe im Peloton nicht exklusiv. Bei Paris-Nizza legte eine Grippewelle das halbe Feld lahm, viele Stars fehlten bei Mailand-Sanremo. Und vergangenen Woche brach Europameister Sonny Colbrelli nach der ersten Etappe der Katalonien-Rundfahrt zusammen und musste reanimiert werden. Für den Italiener war es das erste Rennen nach einer Bronchitis.

Bei Bora wird man deshalb nicht unruhig. «Es wäre unfair, Nils in Flandern am zweiten Platz von Roubaix zu messen. Aber seine Moral stimmt auf jeden Fall», sagte Sportchef Rolf Aldag der dpa. Und wenn die Topform nicht da ist, tüftelt der Ex-Profi für das 272,5 Kilometer lange Rennen über 18 giftige Anstiege und gröbstes flämisches Kopfsteinpflaster eben an einer Überraschungstaktik für Politt. «Wir werden offensiv fahren und uns etwas überlegen», sagte der 53-Jährige. Vielleicht war der Mittwoch dieser Woche bereits ein Test, als Politt bei Quer durch Flandern lange in einer Ausreißergruppe fuhr und am Ende Fünfter wurde.

Van Aert, van der Poel und Pogacar die Favoriten

Der große Favorit droht indes auszufallen. Wout van Aert aus dem bislang so dominanten Jumbo-Visma-Team fühlte sich am Donnerstag nicht wohl und musste pausieren. Sein Einsatz ist laut Teamangaben unsicher. Als weitere Sieganwärter gelten der Niederländer Mathieu van der Poel sowie Über-Fahrer Tadej Pogacar. Der Slowene fährt als Profi zum ersten Mal in Flandern, angeblich nur, um sich auf die Kopfsteinpflasteretappe der diesjährigen Tour de France vorzubereiten. Doch spätestens seit Pogacar die Lombardei-Rundfahrt sowie das Schotterpistenrennen Strade Bianche jeweils bei der ersten Teilnahme gewann, wird man dem 23-Jährigen alles zutrauen.

Und Politt kann Flandern vor allem nutzen, um Rennkilometer zu sammeln. Denn sein großer Traum ist eher der Sieg bei Paris-Roubaix – und da kommt ihm in diesem Jahr der Kalender zugute. Statt traditionell eine Woche nach Flandern, findet die «Hölle des Nordens» wegen der französischen Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr zwei Wochen später statt. «Es ist gut für Nils, dass er da ein bisschen Luft hat und aufbauen kann», sagte Aldag. Seine Chancen seien da auf jeden Fall größer als in Flandern. Aber vielleicht klappt es ja auch mit der Überraschungstaktik.

Von Tom Bachmann, dpa