Hansi Flick und Louis van Gaal klatschten sich zufrieden ab, und auch auf dem Rasen herrschte nach dem Fußball-Klassiker unter den DFB- und Oranje-Stars ausgelassene Stimmung. Denn der Auftritt machte Mut.
Auch wenn Flicks Siegesserie gerissen ist, bleibt der Glaube an eine erfolgreiche Fußball-WM bleibt bestehen. Nach einem lange dominanten Auftritt im Prestigeduell mit Erzrivale Holland war das 1:1 (1:0) in Amsterdam am Ende ein gerechtes Ergebnis. Nach dem 43. Länderspieltor von Thomas Müller (45.+1) hätte David Raum gleich nach der Pause bei einer Großchance auf 2:0 erhöhen können.
Flick: «Für die Zuschauer war es ein Topspiel»
Als die Niederländer dann aufdrehten, brauchte die deutsche Mannschaft auch Glück. Kurz nach dem Ausgleich durch Steven Bergwijn (68.) nahm der englische Schiedsrichter Craig Pawson nach Videobeweis etwas glücklich einen Foulelfmeter zurück. Thilo Kehrer hatte Hollands Angreifer Memphis Depay im Strafraum beim Klärungsversuch am Fuß getroffen. Das Unentschieden war am Ende glücklich.
«Für die Zuschauer war es ein Topspiel mit hoher Intensität», sagte Flick und lobte seine Mannschaft: «Es ist schön, wie sie Fußball spielt. Die Art und Weise ist erfrischend. Sie ist mutig. Mit dem 1:1 können wir zufrieden sein. Das Unentschieden ist gerecht.»
Auch wenn Flick in seinem neunten Spiel als Bundestrainer erstmals keinen Sieg bejubeln konnte, kann er der Auslosung der WM-Gruppen am 1. April in Katars Hauptstadt Doha entspannt entgegenblicken. Vier Jahre nach dem Vorrunden-Aus in Russland muss das DFB-Team, das nach Portugals Weiterkommen nur in Lostopf zwei einsortiert ist, auch eine schwere Gruppe nicht fürchten.
Neuer: «Wir sind auf einem sehr guten Weg»
«Die Richtung stimmt. Man hat gemerkt, dass wir nicht nur mithalten, sondern auch dominieren können. Das Gefühl an sich ist gut», sagte Torschütze Müller und ergänzte: «Wir wollten natürlich gewinnen. Wir müssen nach der Halbzeit das 2:0 machen. Ab der 60. Minute haben wir bis zur 85. die Kontrolle verloren. Das ist ein bisschen ärgerlich, aber auch logisch auf dem Weg, wo wir hinwollen.»
Auch Kapitän Manuel Neuer zog ein gutes Fazit. «Auf dem Weg Richtung Katar müssen wir jeden Test nutzen. Es war die erste große Mannschaft, gegen die wir gespielt haben und das über weite Strecken ordentlich. Wir hätten auch als Sieger vom Platz gehen können. Wir hatten eine halbe Stunde, wo wir nicht die Oberhand hatten», sagte Neuer: «Wir haben einen guten Charakter, wir sind selbstbewusst. Ich denke, wir sind auf einem sehr guten Weg.»
Beim ersten großen WM-Test vor rund 50.000 Zuschauern steckte das deutsche Team auch hochkarätige Ausfälle lange weg. So fehlten aus dem Bayern-Block in Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Niklas Süle und Serge Gnabry vier potenzielle Stammkräfte. Flick kreierte neue Optionen wie die U21-Europameister Nico Schlotterbeck und David Raum in der Abwehr oder Jamal Musiala. Das Bayern-Talent spielte auf der Kimmich-Position im defensiven Mittelfeld frech auf und bereitete auch das Tor von Müller vor. Der 32-Jährige zog in der ewigen DFB-Torschützenliste mit Ehrenspielführer Uwe Seeler gleich.
Musiala überzeugte als Vertreter von Kimmich
«Wir wollen zurück an die Weltspitze», hatte Flick sein Anspruchsdenken vor dem «Gradmesser» gegen den ewigen Rivalen formuliert und einen mutigen Auftritt gefordert. Den bekam der Coach auch von seinem Team geboten. Der frühere Bayern-Coach bekam aber auch vor Augen geführt, dass die deutsche Mannschaft unter Druck durchaus fehleranfällig ist.
Von einem Freundschaftsspiel konnte keine Rede sein. In einem intensiven Spiel agierte die in schwarz spielende DFB-Auswahl zunächst hochkonzentriert. Mit hohem Pressing wurden die für ihre Offensivqualitäten oft gerühmten Holländer ein ums andere Mal am eigenen Strafraum festgesetzt. Oranje lauerte stattdessen – ganz ungewohnt – auf Konter. Das Signal hatte Flick bereits mit seiner Aufstellung gegeben. Der offensiv ausgerichtete Musiala vertrat Kimmich auf der Sechserposition und wusste dabei sehr zu überzeugen.
Der 19-Jährige leitete nicht nur den Führungstreffer ein, sondern löste seine Aufgabe – mal technisch, mal körperbetont – sehr geschickt. Mehr Bayern-Power hatte der Bundestrainer dem deutschen Spiel im Vergleich zum 2:0 gegen Israel verordnet. Im Tor stand wieder Manuel Neuer, dazu kehrten Müller und Leroy Sané in die Startelf zurück. Müller und Sané sorgten nach feinem Zusammenspiel auch gleich für die erste Torchance des DFB-Teams in der zwölften Minute.
43. Länderspiel-Tor für Müller
Trotz aller Bemühungen boten die Oranje-Abwehrstars um Virgil van Dijk nicht viele Räume. Der Lattentreffer von Timo Werner hätte wegen vermeintlicher Abseitsposition ohnehin nicht gezählt (21.). So brachte erst die letzte Aktion im ersten Durchgang die DFB-Führung. Werner setzte Musiala in Szene. Dessen scharfe Hereingabe klärte Tyrell Malacia in die Mitte, wo Müller mal wieder goldrichtig stand. Mit seinem 43. Länderspiel-Tor zog Müller mit Seeler gleich und liegt nun auf Platz acht der ewigen DFB-Torjägerliste. Deutscher Rekordtorschütze ist Miroslav Klose mit 71 Treffern.
Und Oranje? Die Gastgeber wirkten oftmals ratlos, was der Miene von van Gaal anzusehen war. Auch der Dortmunder Donyell Malen agierte glücklos. Bei einer guten Konterchance spielte der Angreifer einen zu steilen Pass auf Malacia (19.), einen weiteren Schuss setzte er neben das Tor (35.). Die deutsche Defensive machte es aber auch lange gut. Antonio Rüdiger sorgte in seinem 50. Länderspiel für Stabilität und Schlotterbeck wusste auch seine zweite Chance innerhalb von vier Tagen zu nutzen. Der Freiburger gehört zu den Gewinnern des ersten Länderspielblocks im WM-Jahr.
Glück – nicht gegebener Elfmeter
Akzente setzte auch der Hoffenheimer David Raum, sogar das erste Länderspieltor war für den Außenverteidiger möglich. Nach einem Traumpass von Sané vergab Raum allerdings freistehend vor dem Freiburger Oranje-Keeper Mark Flekken eine Riesenchance (47.). Aber mit der Führung im Rücken war das deutsche Spiel noch gefälliger, noch prägnanter. Die DFB-Elf wollte das Ergebnis nicht verwalten, sondern suchte die Entscheidung.
Die mangelnde Konsequenz im Abschluss sollte sich aber rächen. Nach einem langen Ball setzte Denzel Dumfries per Kopfball-Rückgabe den eingewechselten Bergwijn in Szene, der den Ball ins Tor hämmerte. Danach hatte der viermalige Weltmeister sogar Glück, dass der englische Schiedsrichter Pawson einen Foulelfmeter für die Holländer zurücknahm (73.). Denn Kehrer hatte bei seinem Klärungsversuch erst Depay am Bein, dann den Ball leicht getroffen. «Für mich ist es ein Elfmeter», urteilte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger. Bei einer weiteren niederländischen Großchance rettete Schlotterbeck auf der Linie (82.). Es war eine knifflige Phase für die DFB-Auswahl, die dem Bundestrainer einige Erkenntnisse geliefert haben dürfte.
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