Der einst schnellste Sprinter der Welt hat den Schongang eingelegt. «Alt werden ist nichts für Memmen. Ich muss jetzt endlich auch mal an mich denken», sagt Armin Hary, und Hund Lucky bellt, als wollte er seinem Herrchen zustimmen.
Gut drei Monate nach seinem Herzinfarkt geht es Hary schon wieder so gut, wie es das Alter eben zulässt: Heute am 22. März wird der Doppel-Olympiasieger von 1960 immerhin 85 Jahre alt, und das Wort Stillstand hat noch nie zu seinem Vokabular gehört.
«Ich bin ja kein Mensch, der ruhen und rasten kann»
«Mein Gott, es geht wieder besser. Ich bin ja kein Mensch, der ruhen und rasten kann. Ich will so ziemlich alles selbst machen», sagt Armin Hary in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Bei Ehefrau Tina ist er seit 56 Jahren in besten Händen. «Pflegen muss ich ihn nicht, ich muss ihn nur verwöhnen», erzählt Christina Hary lachend und berichtet vom Umzug innerhalb ihres beschaulichen Wohnorts Adlhausen in Niederbayern. «Das machen wir mit links, hat er gesagt. Armin fand einen Umzugswagen irgendwie unsportlich.»
Der Mann ist eben immer noch Sportler. 1960 war das Jahr des Armin Hary, das größte in seiner Karriere als Leistungssportler. Am 21. Juni 1960 sprintet der explosive Schnellstarter die 100 Meter als erster Mensch überhaupt in 10,0 Sekunden: mit 480 Gramm schweren Spikes, auf einer Aschenbahn im Zürcher Letzigrund.
Genau 72 Tage später ist der «blonde Blitz» auch Olympiasieger: Gold über 100 Meter – und eine Woche später als glänzende Zugabe der Triumph mit der deutschen Staffel über 4 x 100 Meter. Kein Europäer und schon gar kein Deutscher schnappt sich nach Hary jemals wieder die prestigeträchtigste Bestmarke der Leichtathletik.
Staffel-Startläufer Bernd Cullmann erinnert sich noch sehr gut an jenen 8. September 1960 – und an den ersten Wechsel auf Bahn 5. «Armin ist ab wie eine Rakete! Das war unglaublich! Ich habe nur gedacht: oh Gott», erzählt der 82-Jährige im dpa-Gespräch. «Vor Olympia haben wir zusammen in Frankfurt trainiert», sagt Cullmann, der für den ASV Köln gestartet war und im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein lebt. «Und heute telefonieren wir noch einmal in der Woche», berichtet der gelernte Diamantenschleifer.
Armin Harys Vita ist filmreif
Auch Armin Harys Vita ist filmreif. Der Junge aus dem saarländischen Quierschied spielt erst Fußball, dann Handball und Geige, erst spät erwacht seine Liebe zur Leichtathletik. Der gelernte Feinmechaniker ist Sportstudent, Tellerwäscher, Kaufmann, Immobilienmakler und Baustoffgroßhändler. Aber auch ein Schlitzohr: Für falsche Spesenrechnungen und einen aufmüpfigen Presseartikel wird er gesperrt, wegen dubioser Grundstücksgeschäfte kommt er Anfang der 1980er Jahre mit dem Gesetz in Konflikt.
Erinnerungen an traumatische Erlebnisse in seiner Kindheit kommen derzeit durch die russische Invasion in die Ukraine wieder hoch. Wenn er sehe, wie die Mütter mit ihren Kindern in der Ukraine flüchteten, sehe er sich mit seiner Mutter vor dem Bombenhagel fliehen, erzählte er der «Welt am Sonntag» zutiefst erschüttert. Hary betonte, dass durch die Erinnerung an die «grauenhafte, furchtbare Nazi-Zeit» Menschen sensibilisiert werden könnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe er sich zwischen großer Armut und scheinbarer Ausweglosigkeit befunden und den Sport als einzige Chance gesehen: «Ich war ein hungriges Kind. Hungrig nicht nur im wörtlichen Sinne.»
Noch vor dem goldenen Sommer 1960 sprintet Hary 1958 in Stockholm zu zwei EM-Titeln. Nach einem Autounfall im November 1960 ist sein Knie kaputt – Anfang Mai 1961 erklärt er seinen Rücktritt. Seine Karriere ist schon vorbei, ehe sie noch mehr in Fahrt kommt. So mancher hätte sich diese vier tollen Jahre, von 1957 bis Ende 1960, gewünscht.
«Gesundheit ist alles!»
Die Leichtathletik prickelt heute nicht mehr, gibt Hary zu, dennoch will er die Höhepunkte dieses Jahres – die WM in den USA und die EM in München – verfolgen. «Ich schau‘ mir das schon an, aber ich trauer nicht der alten Zeit nach. Wenn die Kerle heute alle auf der Aschenbahn laufen müssten, dann möchte ich die mal sehen.»
Gedanken ans Alter vertreibt der einstige Sonnyboy mit Aktivität. «Ich kann nicht ruhig sitzen, ich muss immer irgendwas tun – im Garten oder im Haus», sagt Hary. Und überhaupt: «Gesundheit ist alles!»
Eine große Party zum 85. ist nicht geplant – aber auch nicht gestrichen. «Jeder, der mich mag, ist herzlich willkommen. Ich kann die Leute nicht ausladen, bevor sie da sind. Ein bissel Besuch werde ich schon kriegen. Ich lasse mich überraschen», sagt der Jubilar. «Die uns mögen, die kommen sowieso – und die kriegen dann ganz sicher auch Kaffee und Kuchen.»
So sicher, wie er immer noch Autogrammwünsche bekommt – 62 Jahre nach seinen Olympiasiegen. «Ich kriege jeden Tag noch Autogrammbriefe, mal einen, mal zehn», erzählt Hary. «Hauptsächlich aus Deutschland. Aber auch viele aus Amerika, England, Frankreich. Das ist verrückt: Die einen schreiben, sie sind 80, die anderen schreiben, sie sind 18. Die meisten schicken einen Haufen Fotos mit, die signiere ich dann.» Alles andere macht dann seine Tina.
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