In einem tristen Hotel mit braun-grauer Steinfassade und in eher ungewohnter Gesellschaft verbrachte Novak Djokovic das orthodoxe Weihnachtsfest.
Vor dem Park Hotel im Melbourner Stadtteil Carlton versammelten sich auch am Freitag wieder Fans mit Megafon und Fahnen samt Konterfei des prominenten Gastes. Novak Djokovic, 34 Jahre alt, Nummer eins der Tennis-Welt, Gewinner von 20 Grand-Slam-Turnieren und neunmaliger Champion der Australian Open, sitzt seit Mittwochabend in dieser nicht eingeplanten Herberge. Weil er offenkundig nicht gegen das Coronavirus geimpft ist.
«Lasst ihn raus, wir wollen ihn sehen. Er ist kein Verbrecher, er ist ein Tennis-Held», rief eine Frau fast flehend, wie auf Fernsehbildern zu sehen ist. Doch erst am Montag verhandelt ein Gericht in Melbourne die Klage Djokovics und entscheidet, wie es weitergeht. Ausreise oder doch noch der Start beim ersten großen Turnier der neuen Saison? Erstmals meldete sich Djokovic am Freitag via Instagram zu Wort und bedankte sich für die Unterstützung der vergangenen Tage.
Geheimnis um Impfstatus
Seit Tagen beherrscht Djokovic die Schlagzeilen. Seit Monaten macht er ein Geheimnis um seinen Impfstatus. Seit Jahren polarisiert er. Für die einen ist er Tennis-Held und bester Spieler der Gegenwart, für die anderen der ungeliebte Gegenspieler der allseits beliebten Granden Roger Federer und Rafael Nadal. Ein Impfskeptiker mit Hang zu kruden Thesen und Spiritualität. Der einst mit dem Spanier Pepe Imaz zusammenarbeitete, der in der Branche als «Guru» bezeichnet wurde. Der einmal davon sprach, er könne durch mentale Kraft giftiges Wasser in Trinkwasser verwandeln. Der Ehrgeizige und Verbissene, der einst bei den US Open disqualifiziert wurde, weil er aus Wut einen Ball wegschlug und dabei versehentlich eine Linienrichterin traf.
Der Organisator der Adria-Tour im Sommer 2020. Damals tauchten Party-Bilder auf, die nicht in die Corona-Zeiten passten. Damals infizierte sich Djokovic selbst mit dem Coronavirus. Diese Erkrankung liegt jedoch viel zu lange zurück, als dass sein Status als Genesener möglicherweise zu der medizinischen Ausnahmegenehmigung hätte führen können, mit der Djokovic nun dachte, einreisen zu dürfen.
Die Posse entwickelt Tag für Tag groteskere Züge. Der australische Tennisverband und der Bundesstaat Victoria, in dem Melbourne liegt, erteilten Djokovic eine Genehmigung zur Teilnahme an den Australian Open, obwohl eigentlich nur vollständig geimpfte Spielerinnen und Spieler bei dem Turnier ab dem 17. Januar starten dürfen. Djokovic trat also den mehr als 20-stündigen Flug nach Australien an – in der Annahme, dass seine Unterlagen inklusive Visum korrekt und vom Staat Victoria genehmigt seien. Offenbar aber nicht im Einklang standen mit den Regularien des Landes Australien. Djokovic stand also alleine auf der falschen Seite des Einreise-Schalters, der Grenzschutz verweigerte das Visum und ließ Djokovic in das besagte Hotel bringen.
Wo lag der Fehler?
Statt sich nun also auf die Titelverteidigung und die Jagd nach der 21. Rekord-Grand-Slam-Trophäe einzustimmen, muss sich Djokovic erst einmal auf eine Gerichtsverhandlung vorbereiten. In der Heimat poltert Djokovics Vater, vergleicht seinen Sohn wahlweise mit Jesus, Spartakus oder dem Wasser, das sich schon seinen Weg suchen werde.
Die Frage, ob Djokovic junior nun geimpft ist oder nicht, dürfte sich erledigt haben. Wäre er gegen das Coronavirus geimpft, bräuchte er keine Ausnahmegenehmigung. Die Frage ist: Wie konnte das passieren? Wie konnte Djokovic in diese Situation geraten? Lag der Fehler bei ihm und seinem Team? Oder wurde er möglicherweise falsch informiert?
Zuletzt wurde spekuliert, der australische Verband habe einen Fehler gemacht und die Profis glauben lassen, eine Erkrankung in den vergangenen sechs Monaten und der damit verbundene Genesenen-Status würden die medizinische Ausnahmegenehmigung rechtfertigen. Dies würde bedeuten, dass Djokovic zuletzt erneut an Covid-19 erkrankt war.
Ob der weltbeste Tennisspieler wie der deutsche Nationalspieler Joshua Kimmich seine Meinung ändert und sich doch noch impfen lässt, bleibt eine spannende Frage. Zumal ein Impfschutz auch Voraussetzung für weitere Turnierteilnahmen in diesem Jahr sein dürfte. «Ich glaube, er macht einen großen Fehler, sich nicht impfen zu lassen», schrieb Djokovics früherer Trainer Boris Becker in einem Gastbeitrag für die «Daily Mail». Er würde «ihm dringend raten, sich impfen zu lassen – ob er auf mich hören würde, ist eine andere Sache.»
Djokovic gilt als stur und eigenwillig. Seine mentale Stärke jedoch hat ihn zu unzähligen Titeln geführt. Becker, der drei Jahre lang Djokovics Coach war und diesen sehr gut kennt, schrieb: «Doch diese Stärken können auch Schwächen sein. Die gleiche unglaubliche Entschlossenheit, mit der ich ihn so viele enge Matches habe gewinnen sehen, kann mit seiner Sturheit auch eine Schwachstelle sein.»
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