24. November 2024

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Bottas: Von der Last «im Schatten» zu funktionieren

Ganz alleine wird niemand Formel-1-Weltmeister. Es braucht immer auch eine passende Nummer zwei. Lewis Hamilton benötigt im WM-Kampf gegen Max Verstappen seinen Teamkollegen in Bestform.

Valtteri Bottas liebt seinen Kaffee. Der Finne ist in seiner Heimat Mitbesitzer einer Rösterei, war auch schon Juror bei Meisterschaften und hat passend für den Grand Prix von São Paulo im Kaffee-Mekka Brasilien einen eigens designten Helm.

Seine Freundin Tiffany Cromwell, eine australische Radrennfahrerin, hat sich dabei kreativ ausgelebt. Pflanze, Blatt, Tasse, Leitspruch – alles, was für Bottas zum Thema Kaffee gehört, ist auf seinem Kopfschutz zu finden.

Es ist sicher sinnvoll, dass der Teamkollege von Lewis Hamilton ein Hobby hat. Denn der Abschied von Mercedes zum Jahresende hat ihm zugesetzt, an ihm genagt. Am Ende ist er aber auch eine Befreiung für den künftigen Alfa-Romeo-Piloten, der dort einen Vertrag über mehrere Jahre unterschrieben hat und nach dem Abschied von Landsmann Kimi Räikkönen die neue Führungsfigur sein soll.

Bald Anführer

«Er war immer als Teamkollege von Lewis bekannt. Das neue Kapitel bei uns bedeutet, dass er der Anführer werden muss», erklärte Alfa Romeos Teamchef Frederic Vasseur. Bottas werde nun nicht mehr «im Schatten von jemandem stehen.»

Der Schatten bei Mercedes war übermächtig, es war Hamiltons Schatten. Nach dem Blitz-Rücktritt von Weltmeister Nico Rosberg Ende 2016 brauchten die Silberpfeile einen zuverlässigen und schnellen neuen Teamkollegen für den Briten. Möglichst jemanden, der auch das Binnenklima nicht strapazieren würde.

Die Wahl fiel auf Williams-Fahrer Bottas, den Mercedes-Teamchef Toto Wolff einst auch selber beraten hatte. Seitdem ist Hamilton viermal nacheinander Weltmeister geworden, Mercedes sicherte sich in dieser Zeit ebenfalls stets den Konstrukteurstitel. Bottas selbst wurde zweimal Vize-Weltmeister.

Viele Schwankungen

Der 32-Jährige hatte aber für den Branchenprimus zu hohe Leistungsschwankungen, William-Fahrer George Russell (23) löst ihn 2022 ab. Die Last der unsicheren Zukunft, die Wucht der Vertragsverhandlungen haben bei Bottas Spuren hinterlassen. «Toto meint, dass Druck gut für mich ist», erzählte er. «Ich stimme zu, dass Druck für eine gewisse Zeit gut ist und mehr aus dir herausholen kann, aber wenn du neun Jahre lang in deiner Formel-1-Karriere vertraglich unter Druck stehst, Jahr für Jahr, dann beginnt es, dich von innen aufzufressen».

Bottas hatte seit seinem Karrierebeginn in der Formel 1 2012 stets nur Verträge über ein Jahr. «Ich war nie in der Lage, weiter als sechs Monate nach vorne zu blicken», beschrieb er den permanenten Druck, sich für einen neuen Kontrakt empfehlen zu müssen. «Das funktioniert für mich einfach nicht.»

Hamilton hat Bottas stets gelobt. «Er war der beste Teamkollege, mit dem ich je zusammenarbeiten durfte», sagte der Brite und schwärmte von dessen Schnelligkeit und Belastbarkeit. Sein Nebenmann sei «ein Gentleman.»

Patzer in Mexiko

Von Bottas hängt in dieser Saison für Hamilton noch viel ab. Der 36-Jährige braucht die Unterstützung seines Teamkollegen, um den WM-Spitzenreiter Max Verstappen aus den Niederlanden doch noch einholen zu können. In Mexiko patzte Bottas. Auf dem Weg zur ersten Kurve ließ er die Außenseite offen, Verstappen bremste sich vorbei und fuhr das Rennen anschließend nach Hause.

«So was sollte nicht passieren», kritisierte Wolff verärgert. Eine Nummer zwei – auch wenn sie offiziell so nicht tituliert wird – soll schließlich den Star-Piloten unterstützen, die gegnerische Nummer eins auch mal direkt hinter sich halten oder durch perfektes Timing bei Boxenstopps die Rivalen überrumpeln.

Verstappens Teamkollege Sergio Perez aus Mexiko hat sich nach Anpassungsschwierigkeiten in dieser Saison immer besser in dieser Rolle zurechtgefunden. Bottas hofft nun, dass ihm die seit Anfang September feststehende Gewissheit über seine Zukunft auf den letzten Kilometern des Jahres helfen wird. «Es ist fast so, als wäre mir eine Last von den Schultern genommen worden», beschrieb er das ungewohnte Gefühl von Planungssicherheit. Vielleicht kann auch Hamilton davon profitieren.

Von Martin Moravec, dpa