Das historische Pokal-Debakel von Gladbach als Ausrutscher abhaken und einfach weitermachen – so wäre es dem FC Bayern nach der höchsten Pleite seit gut vier Jahrzehnten am liebsten. Nur wird das so einfach nicht funktionieren.
Gleich bei der nächsten Aufgabe in der Fußball-Bundesliga am Samstag wird der gedemütigte Branchen-Primus zwangsläufig wieder mit dem beispiellosen 0:5 vom Mittwoch und dem ersten verspielten Titel der Saison konfrontiert. «Nun müssen wir am Samstag eine Reaktion zeigen», schrieb Nationalkeeper Manuel Neuer bei Instagram.
Ausgerechnet in Berlin, wo die Bayern-Stars am Saisonende erneut keinen DFB-Pokal in die Höhe stemmen können, soll – und muss – beim 1. FC Union jetzt eine Antwort folgen. Sonst droht den zuletzt nur auf einigen Nebenschauplätzen gebeutelten Münchnern auch eine sportliche Sinnkrise. «Wir wollen eine Reaktion zeigen, und die wird mit Sicherheit auch kommen», versprach Co-Trainer Dino Toppmöller im Gladbacher Stadion so entschieden wie tapfer.
Negativ-Rekord
Der Sohn des früheren Bundesliga-Stürmers und -Trainers Klaus Toppmöller hatte das Pech, als erneute Vertretung des abwesenden und am Coronavirus erkrankten Chefcoach Julian Nagelsmann negativ in die Club-Historie einzugehen. Eine so hohe Niederlage – die sogar noch höher hätte ausfallen können – wie in Gladbach, hat der stolze FC Bayern im Pokal noch nie erlebt. Seit dem nicht minder verheerenden 1:7 bei Fortuna Düsseldorf in der Bundesliga vor 43 Jahren hatte der Rekordmeister und Rekordpokalsieger generell nicht mehr so hoch verloren. «Das darf uns so nicht passieren», befand Neuer.
Denn 1978 hatten die Bayern noch lange nicht den exklusiven Status eines Liga-Dominators und Abo-Meisters inne. Umso unerklärlicher war die Chancenlosigkeit bei in Gala-Form auftrumpfenden Borussen, die sich in einen Rausch spielten. «Die haben ja sensationell gespielt», gestand Bayerns fassungsloser Sportvorstand Hasan Salihamidzic, nachdem die Gladbacher einen der emotionalsten Momente der jüngeren Club-Geschichte zelebriert hatten.
«Ein perfekter Abend für alle Borussen», frohlockte der an allen fünf Treffern beteiligte und überragende Doppel-Torschütze Breel Embolo. Unmittelbar zuvor hatte das Team minutenlang im erstmals seit rund anderthalb Jahren wieder mit knapp 50.000 Zuschauern gefüllten Borussia-Park die Vereins-Hymme «Die Seele brennt» geschmettert. «Der Abend geht bestimmt in die Geschichte von Borussia Mönchengladbach ein», sagte Gladbachs stolzer Sportchef Max Eberl. Kapitän Lars Stindl war noch am Tag danach hin und weg. «Was ein Spiel! Was ein Abend!!!», twitterte der Routinier am Donnerstag, kurz bevor das Team von gut 100 Fans beim Training bejubelt wurde.
Gladbach überragend
Wie ein Orkan waren die in der Liga zuletzt offensiv so glücklosen Borussen über die unfassbar schwache Bayern-Abwehr hinweggefegt. Schon nach 20 Minuten lagen die Bayern 0:3 hinten – unglaublich. «Die hätten auch noch mehr Tore machen können», gestand Salihamidzic zutreffend: «Wir sind natürlich absolut schockiert.»
Erklären konnte oder wollte das Erlebte niemand so recht. Stars wie Robert Lewandowski oder Neuer wollten am Mittwoch gar nicht sprechen. Erst am Tag danach fanden sie ihre Worte zum Geschehenen wieder und äußerten sich im Netz. «Ich bin überzeugt, dass wir euch bald wieder einen Grund zum Feiern geben werden», lautete die Botschaft von Weltfußballer Lewandowski an die Bayern-Anhänger.
Am verhängnisvollen Mittwochabend hatte Thomas Müller als einziger Spieler die Abreibung kommentiert und klang recht kleinlaut: «Ich weiß nicht, ob ich das schon einmal erlebt habe im Trikot des FC Bayern. Wir müssen uns bei unseren Fans entschuldigen. Das ist natürlich eine Schmach für uns.»
Upamecano schwach
Auch für den nur bedingt beteiligten Nagelsmann. Anders als Trainer wie Felix Magath, Louis van Gaal oder Niko Kovac, die sogleich in ihrem ersten Jahr als Bayern-Coach das Double aus Meisterschaft und Pokal errungen, ist dies dem hochgelobten 34-Jährigen nun nicht mehr möglich. Dass es etwas mit dem Fehlen ihres Cheftrainers zu tun hatte, wiesen die Verantwortlichen indes von sich. «Natürlich wollen wir, dass der Trainer da ist. Ich glaube aber, dass das heute wenig mit Dino zu tun hatte. Es ist alles schief gelaufen, was schief laufen konnte», sagte Salihamidzic und erinnerte daran, dass die Bayern zuletzt auch ohne Nagelsmann bisweilen Fußball gezaubert hatten.
Dennoch muss es auch irgendwo zwischen Nagelsmann und Toppmöller in der Kommunikation gehakt haben. Wo genau, blieb ungeklärt. Doch warum etwa der als Totalausfall agierende Innenverteidiger Dayot Upamecano erst nach 55 Minuten ausgewechselt wurde und nicht schon nach der verheerenden Anfangsphase, wollte Toppmöller nicht so recht erklären. Ebensowenig, warum die offensichtlich nicht ansatzweise funktionierende Taktik oder Grundformation nicht geändert wurden.
Nach dem Wirbel um den nur knapp einer Haftstrafe in Spanien wegen häuslicher Gewalt entkommenden Lucas Hernández, dem nicht geimpften Joshua Kimmich und der Corona-Infektion von Nagelsmann stehen die Bayern nun vor bedeutsamen Spielen bei Union und danach in der Champions League gegen Benfica Lissabon. War der hilflose und bemitleidenswerte Auftritt in Gladbach nur ein Ausrutscher? Oder war es ein Fingerzeig an die nationale und internationale Konkurrenz?
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